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Normsetzung und Entscheidungsverfahren

Die Forschungsgruppe untersucht, welche institutionalisierten Entscheidungsverfahren es bei der Anwendung von Verhaltensregeln mit allgemeinem Geltungsanspruch im digitalen Raum gibt und erarbeitet, wie diese normativ zu bewerten sind. Forschungsgegenstände sind hier z.B. autonome Systeme und ihre institutionelle Einbettung sowie Fragen der Nachhaltigkeit digitaler Prozesse.

Das normative Fundament einer sich digitalisierenden Gesellschaft befindet sich in einem vielfältigen und komplexen Wandel. Anliegen der Forschungsgruppe ist es, diesen Wandel deskriptiv und normativ zu erforschen bzw. einzuordnen. Eine Herausforderung im Forschungsanliegen ist die Gleichzeitigkeit eines enormen Detail- und Differenzierungsgrades einzelner Entwicklungen auf der Mikro- und Mesoebene sowie großer Verlagerungsbewegungen auf gesamtgesellschaftlichem Niveau. Die Leitfrage der Forschungsgruppe, mit der diese Entwicklungen kohärent gefasst werden sollen, lautet:

Welche institutionalisierten Entscheidungsverfahren bei der Anwendung von Verhaltensregeln mit allgemeinem Geltungsanspruch gibt es im digitalen Raum? Wie sind diese zu bewerten?

Die Forschungsgruppe konzentriert sich also besonders auf Entscheidungsverfahren. Hierunter werden allgemein verfestigte und formalisierte Strukturen zur Herbeiführung von Entscheidungen über Dritte verstanden. Dies können staatliche Gerichts- und Verwaltungsverfahren, private Schlichtungs-, Konfliktmanagementverfahren (z.B. auf Plattformen), community-basierte Moderationen ebenso wie skalierbare technische Lösungen (z.B. algorithmische Entscheidungssysteme) sein. Häufig sind es schließlich Hybride aus den beschriebenen menschlichen und technischen Verfahren, die zu Entscheidungen über Dritte führen. Diese beinhalten auch die Prozesse der Beeinflussung menschlicher Entscheidungsverfahren durch Affordanzen des Entscheidungskontexts einerseits und der kognitiven Voraussetzungen andererseits. Die Fokussierung erlaubt somit, drei Spannungsfelder in ihrer Breite kohärent aufzugreifen und zu adressieren:

  1. Menschliche/Technische Akteure: Die zunehmenden Einsatzmöglichkeiten und Komplexitäten technischer Entscheidungsverfahren werfen wichtige Fragen der Selbstbestimmung auf. Hier treffen technische Entwicklung, soziale Konventionen, kognitive Prozesse und rechtliche Normen aufeinander. Die Forschungsgruppe setzt menschliche und technische Entscheidungsverfahren in ein Verhältnis und ordnet sie und ihre Auswirkungen ein. So zum Beispiel Verfahren zur Content Moderation oder des Beschwerdemanagements auf Plattformen.
  2. Staatliches/Privates Handeln: Mit digitalen Märkten und Plattformen kommen privaten Akteuren zunehmend regulatorische Kompetenzen zu. Besonders im Bereich immaterieller Güter, seien es Kulturprodukte, schutzfähige Investitionsgüter oder qualitativ hochwertige Datensets, verlagern sich Urteils- und Entscheidungskompetenzen. Auch spielen Fragen der Nachhaltigkeit digitaler Prozesse vor diesem Hintergrund eine große Rolle. Die Forschungsgruppe setzt sich umfassend mit den sozioökonomischen Auswirkungen solcher Prozesse auseinander und nimmt juristisch dazu Stellung.
  3. Deskriptiver/Normativer Ansatzpunkt: Die empirisch beobachtbaren Phänomene der Digitalisierung im Bereich der Regelanwendung lassen sich sozialwissenschaftlich beschreiben und aus juristischer Perspektive normativ einordnen. Die Zusammenarbeit dieser Disziplinen ist mit ihrem gemeinsamen Interesse an Regeln, Konventionen und Koordinationen besonders passend, um auch dezidiert interdisziplinäre Erkenntnisse zu produzieren, die in Wissenschaft und Gesellschaft kommuniziert werden und mitunter in konkrete Regulierungsvorschläge oder die (Folgen-)Abschätzung von Gesetzesvorhaben münden können.