Digitalisierung und vernetzte Sicherheit
Die Forschungsgruppe „Digitalisierung und vernetzte Sicherheit“ untersucht im Forschungsschwerpunkt „Digitale Infrastrukturen in der Demokratie“ den Einsatz digitaler Technologien zur Antizipation und Bewältigung potenzieller Gefahren. Im Fokus steht die Nutzung von Plattformen durch Sicherheitsbehörden, Smart Cities sowie die Kommunikation mit der Bevölkerung in Krisen. Dabei werden auch ethische Werte, Sicherheitsempfinden und Unsicherheiten im Umgang mit digitalen Technologien analysiert, insbesondere im Kontext von Risiko- und Krisenkommunikation.
Verschiedene aktuelle Transformationsprozesse wie u.a. Anpassung an den Klimawandel, Digitalisierung der Bevölkerung, BOS und Wirtschaft verändern den Umgang mit zukünftigen Risiken. Sicherheit wird hierbei immer mehr als eine kontinuierlich vorhandene gesellschaftliche Herausforderung betrachtet. Bei dem Paradigmenwechsel vom klassischen Gefahrenmanagement bis hin zu einem kontinuierlichen Risikomanagement wird insbesondere die Digitalisierung eine zentrale Rolle spielen. Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen und Soziale Medien verändern bereits jetzt die Möglichkeiten für Datenanalyse, Governance und Wissensmanagement. Auch bei den verschiedenen Praktiken und Werkzeugen, um Lagebilder von akuten Gefahrenereignissen zu zeichnen oder um Auskunft über erwartbare Zukünfte zu geben und daraus Schlussfolgerungen für die Vorbereitung auf potenzielle Ereignisse abzuleiten, werden digitale und vernetzte Technologien an Bedeutung gewinnen.
Im Fokus der Forschungsgruppe stehen sicherheitskritische soziotechnische Systeme. Betrachtet werden u.a. (digitale) kritische Infrastrukturen (KRITIS), technologische Lösungen als auch Nutzer:innen wie Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) und die Bevölkerung. Die geplante Forschung beruht im Wesentlichen auf Literaturanalysen und empirischen Studien unter Anwendung qualitativer und quantitativer sozialwissenschaftlicher Methoden, insbesondere Befragungen, (Experten-)Interviews und Experimenten mit Nutzer:innen.
Als Teil des Forschungsschwerpunktes „Digitale Infrastrukturen in der Demokratie“ wird die Entwicklung digitaler Infrastrukturen und der sich daraus ergebende gesellschaftliche Strukturwandel untersucht. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei in der Betrachtung von Spannungsfeldern zwischen Sicherheit und Freiheit aus einer interdisziplinären Perspektive. Die Forschungsgruppe verbindet sozial-, natur-, technisch- und verhaltenswissenschaftliche Forschungsansätze und -perspektiven (Interdisziplinarität) und strebt die Publikation der Ergebnisse in Open-Access-Formaten an (Offenheit). Durch die unmittelbare Anbindung an die Akteure der zivilen Sicherheit und die Beteiligung von Akteuren an qualitativen Studien, Workshops u.a. (Partizipation) wird Grundlagenforschung direkt in die Entwicklung neuer Warnkonzepte eingebunden (Langfristausrichtung). Damit gelangen sowohl die Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) als auch das Sendai Rahmenwerk für Katastrophenvorsorge (Nachhaltigkeitsorientierung) in den wissenschaftlichen Fokus der Forschungsgruppe.
Dabei untersucht die Forschungsgruppe im Einzelnen die folgenden Fragestellungen:
1. Welche Praktiken und Logiken finden Anwendung, um Risiken frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren?
Die Antizipation von zukünftigen Entwicklungen spielt nicht nur in der Gefahrenabwehr eine zunehmende Rolle und stellt Herausforderungen im Umgang mit Unsicherheit und Nichtwissen dar. Aspekte der antizipatorischen Governance zielen darauf ab, komplexe Herausforderungen zu bewältigen, sich die Zukunft vorzustellen und auf sie unmittelbar einzuwirken. Im Hinblick auf Entscheidungen im Bereich von Risiken und Katastrophen haben sich verschiedene Praktiken der Antizipation entwickelt, um mit Ungewissheit umzugehen oder sich Zukünfte vorzustellen bzw. ihre Wahrscheinlichkeit zu bewerten. Welche Perspektiven auf mögliche Ereignisse ergeben sich daraus und welche Herausforderungen stellen sich für Entscheidungsträger:innen? Ein wesentliches Augenmerk liegt auf soziotechnischen Zukünften, insbes. auf der Rolle und Funktion, die der Technik bei der Gestaltung der zukünftigen Herausforderungen zugemessen wird – zwischen Technik als technological fix auf der einen und Technik als soziomaterielle Konstruktion auf der anderen Seite. Wo liegen die Grenzen von Praktiken der Antizipation? Welche Bilder von Zukunft werden (re)produziert? Diese Fragen sind besonders interessant bei den soziotechnischen Konstellationen und Praktiken von Akteuren der Gefahrenabwehr. Transdisziplinäre Ansätze zur Ko-produktion von Wissen und Reflexionen über das Risiko- und Notfallmanagement spielen eine wichtige Rolle bei der Erforschung zukünftiger Herausforderungen.
2. Welche Infrastrukturen und Plattformen werden im Fall krisenhafter Ereignisse zur Interaktion und technischen Kommunikation mit der Bevölkerung und zwischen zivilen Sicherheitskräften benötigt, wie werden sie gestaltet und genutzt?
Diese Fragestellung beschäftigt sich mit einem ganzheitlichen Ansatz der organisationsübergreifenden und kollaborativen Zusammenarbeit im Bereich der zivilen Sicherheit. Welche Infrastrukturen werden für die Koordination von Einsatzkräften und die Kommunikation mit der Bevölkerung zwingend benötigt? Wie müssen wiederum Organisationsstrukturen gestaltet werden und welche Faktoren können eine organisationsübergreifende Zusammenarbeit behindern? Wie verändern technische Innovationen Organisationskulturen und welche menschlichen Faktoren beeinflussen die Anwendung und Nutzung dieser? Welche relevanten Design-Anforderungen ermöglichen eine wertorientierte Gestaltung von Technologien der Sicherheit, etwa zur Kommunikation mit der Bevölkerung in Krisensituationen oder in Smart Cities? Und welche ethischen Prinzipien (wie Sicherheit, Datenschutz und Gerechtigkeit) sollten in den Designprozess dieser Technologien integriert werden und wie beeinflussen unterschiedliche Stakeholder-Perspektiven die Entwicklung und Akzeptanz solcher Technologien? Sowohl automatische Systeme, die Daten (von Sensoren, Social Media, Gebäudedaten usw.) zusammenfassen und den Einsatzkräften liefern, als auch leitstellenübergreifende Systeme zwischen verschiedenen Akteuren, die auch eine Einsatzplanung umfassen und an eine Bevölkerungswarnung angeschlossen sind, bilden somit Bestandteile der Untersuchungen dieser Fragestellung.
3. Wie gestaltet sich eine adäquate Risiko- und Krisenkommunikation mit der Bevölkerung im Falle krisenhafter oder katastrophaler Ereignisse?
Um mit Krisen wie Hochwasser und anderen Naturgefahren umzugehen, ist eine gute Kommunikation zwischen den beteiligten Akteuren und der Bevölkerung vor, während und nach Krisen entscheidend (people-centered communication). Digitale Technologien können dies unterstützen, da sie neben der oft unidirektionalen Informationsvermittlung auch interaktive, multimodale, immersive (AR/VR) oder hybride Kommunikationsformate ermöglichen. Zudem stehen vermehrt auch automatisierte und generative Formate zur Verfügung. Welche Technologien sind erforderlich, um Krisensituationen rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren und wie werden sie eingesetzt? Welche Rolle können technische Lösungen und Unterstützungssysteme in der Wahrnehmung und im Umgang mit Krisen- und Katastrophen spielen?
Mitglieder der Forschungsgruppe
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Prof. Dr. Lars Gerhold
Principal Investigator
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Dr. Thomas Kox
Forschungsgruppenleiter
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Jana Pinheiro Goncalves
Forschungsgruppenkoordinatorin
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Till Büser
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
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Yannick Fernholz
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
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Dr. Anna Heidenreich
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
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Alina Kang
Studentische Mitarbeiterin
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Sebastian Rohwedder
Studentischer Mitarbeiter
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Ferdinand Ziegler
Studentische Hilfskraft