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Digitale Souveränität und Nachhaltigkeit zusammendenken

In einer Studie haben Bianca Herlo, André Ullrich und Gergana Vladova untersucht, wie digitale Souveränität und nachhaltige Digitalisierung stärker zusammengedacht werden können. Wir haben mit ihnen darüber gesprochen, warum das wichtig ist und wie das Anliegen in die Praxis umgesetzt werden kann.

In eurem Working Paper „Sustainable Digital Sovereignty: Interdependencies Between Sustainable Digitalization and Digital Sovereignty (zuerst auf Deutsch erschienen) befasst ihr euch sich mit zwei Themenfeldern, die in der Digitalisierungsforschung derzeit viel diskutiert werden: Die Bedeutung einer menschzentrierten, nachhaltigen digitalen Transformation und die Frage nach Souveränität im digitalen Raum. Können Sie kurz skizzieren, was mit digitaler Souveränität gemeint ist?

Bianca Herlo: In dieser Studie rahmen wir die digitale Souveränität von Individuen und Kollektiven als Möglichkeiten und Kompetenzen, sich selbstbestimmt und sicher im Digitalen zu bewegen und Digitalisierungsprozesse mitzugestalten – im Sinne einer gerechteren Zukunft für Menschen und Umwelt. Zentrale Aspekte, die sowohl umweltpolitische, als auch Fragen einer gerechteren und inklusiveren digitalen Transformation verknüpfen, sind in unserem Verständnis digitale Kompetenz und digitale Bildung, soziale und digitale Inklusion, Verringerung von Ungleichheiten und Gemeinwohlorientierung.

Warum ist es so wichtig, digitale Souveränität und Nachhaltigkeit zusammenzudenken?

André Ullrich: Digitale Souveränität wird überwiegend als unverzichtbare Voraussetzung für unabhängiges staatliches und wirtschaftliches Handeln und für individuelle Selbstbestimmung im Digitalen verhandelt. Und zwar kooperativ und kollaborativ zwischen den Akteuren, auf Grundlage von neuen Partnerschaften zwischen Wirtschaft und Staat, von Anerkennung und Wahrung der Menschenrechte im Digitalen und von einer wertegeleiteten Digitalisierung. Das ist gerade mit Blick auf Umsetzungsmöglichkeiten für nachhaltige und demokratische digitale Souveränität relevant und auch neu. Im Design schlägt sich dies etwa bei der Entwicklung und Anwendung digitaler Technologien nieder.

Bianca Herlo: Zunehmend, und spätestens seit der COVID-19-Pandemie wird deutlich, dass digitale Souveränität ebenso eine Anforderung für die Einhaltung von Nachhaltigkeitszielen darstellen sollte. Um die Zusammenhänge zwischen den sozialen, politischen, ökonomischen und ökologischen Perspektiven herausarbeiten zu können, ist eine ganzheitliche, Disziplinen übergreifende Betrachtung von digitaler Souveränität notwendig, die Ziele und Handlungsfelder auf allen Akteursebenen miteinander in Beziehung setzt – auf der Ebene von Staat und Politik, von öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen, Zivilgesellschaft und Individuen.

Welche Wirkungszusammenhänge sind dabei besonders relevant?

André Ullrich: Bei Betrachtung der Ergebnisse sticht die hohe Komplexität an Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Zielen und Handlungsfeldern hervor. Die Förderung von digital literacy etwa, die nachhaltige Gestaltung von digitalen Technologien, die Sicherstellung hochwertiger Bildung sowie die Forschungsförderung von relevanten Themen im Kontext der Digitalisierung sind zentrale Zielstellungen zur Realisierung nachhaltiger systemischer Veränderungen hin zu sozial-ökologischer digitaler Souveränität.

Ein Ergebnis Ihrer Studie ist, dass Vermittlung und Aufbau digitaler Kompetenzen zentrale Voraussetzungen für sozial-ökologische digitale Souveränität sind. Wie könnte dieses Anliegen konkret vorangebracht werden?

Gergana Vladova: Im Mittelpunkt unserer Empfehlungen stehen die Befähigung der Menschen zur kritischen Auseinandersetzung mit der Technologie und ihren Daten, die Vermittlung von Nachhaltigkeit im Kontext der Bildung, aber auch eine dynamische Bildungs- und Weiterbildungslandschaft, damit auch Entscheidungsträger:innen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft entsprechende Kompetenzen im Bereich nachhaltiger Digitalisierung erlangen können.

Bianca Herlo: Ein wichtiges Maßnahmenfeld stellt die Förderung von Open-Knowledge- und Open-Access-Formaten zur Erhöhung der Kompetenzen für digitale Souveränität sowie nachhaltige Digitalisierung dar: Wir benötigen beispielsweise eine transparente digitale Verwaltung und Mindeststandards, die verbindlich sind; hohe Datenqualität, die sich sowohl in Bezug auf Datensparsamkeit als auch auf Fairness und Nichtdiskriminierung positiv auswirkt und gemeinwohlorientierte Daten begünstigt. Der Fokus auf Nichtdiskriminierung sollte dabei schon bei der Entwicklung von Technologien gelegt werden.

Gergana Vladova: Der Unterrepräsentation von Frauen sowie Minderheiten in der Digitalbranche muss entgegengewirkt werden, wobei Erziehungs- und Bildungseinrichtungen eine ganz grundlegende Rolle spielen, um beispielsweise mehr Mädchen bereits in der frühkindlichen Bildung an MINT-Fächer heranführen und sie darin zu unterstützen, bestehende Begabungs-Klischees zu überwinden.

Vielen Dank für das Interview!

Das Working Paper „Sustainable Digital Sovereignty: Interdependencies Between Sustainable Digitalization and Digital Sovereignty“ ist zuerst auf Deutsch unter dem Titel „Verantwortungsvolle demokratisch nachhaltige digitale Souveränität. Wirkungszusammenhänge von Nachhaltigkeit und digitaler Souveränität“ (siehe hier) erschienen und ist im Rahmen des Projekts CO:DINA entstanden.

Bianca Herlo ist Designforscherin, Gestalterin und Dozentin mit den Schwerpunkten Civic Design und Social Design. Sie ist Leiterin der Forschungsgruppe Design, Diversität und New Commons am Weizenbaum-Institut. Seit Oktober 2022 verwaltet sie die Professur für Transformation Design an der HBK Braunschweig.

André Ullrich leitet die Forschungsgruppe Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Teilhabe am Weizenbaum-Institut und habilitiert gegenwärtig zu verantwortungsvoller und nachhaltiger Digitalisierung. Er studierte Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Wirtschaftsinformatik und Finanzierung & Banken. 2018 promovierte er zu „Eigenschaften wandlungsfähiger Systeme – Entwicklung eines Indikatorsystems“ an der Universität Potsdam.

Gergana Vladova leitet die interdisziplinäre Forschungsgruppe Bildung für die digitale Welt am Weizenbaum-Institut in Berlin und habilitiert an der Universität Potsdam im Bereich Wirtschaftsinformatik zu den Auswirkungen digitaler Technologien auf Bildungs- und Kompetenzentwicklungsprozesse.

Das Interview führte Moritz Buchner.