
Rückblick auf die 70. Jahrestagung der DGPuK
Vom 19. bis 21. März fand die 70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der FU Berlin und dem Weizenbaum-Institut statt. Weizenbaum-Forschende und Fellows waren Teil des Programms.
Gemeinsam mit dem Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin hat das Weizenbaum-Institut die 70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) ausgerichtet. Die Konferenz stand unter dem Leitthema „Öffentlichkeit(en) und ihre Werte“ und bot eine Plattform für intensive wissenschaftliche Diskussionen und interdisziplinären Austausch.
Angesichts globaler Herausforderungen wie der Corona-Pandemie, dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, dem Krieg im Nahen Osten und der Klimakrise wurde auf der Tagung besonders deutlich, wie zentral Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit, Sicherheit, Solidarität und Wahrheit für den öffentlichen Diskurs und das gesellschaftliche Miteinander sind. Die Vorträge und Panels regten dazu an, diese Werte nicht nur kritisch zu reflektieren, sondern sie auch aus globaler Perspektive zu hinterfragen.
Das Weizenbaum-Institut war in diesem Jahr mit seinem Direktor Christoph Neuberger im Tagungsteam vertreten, Wissenschaftler:innen des Instituts waren vor Ort aktiv beteiligt. Zudem war das Institut Gastgeber von zwei Veranstaltungen im Vorprogramm, die einen gelungenen Auftakt zur Tagung bildeten.
Mit diesen Progammpunkten waren Wissenschaftler:innen und Fellows des Weizenbaum-Instituts vertreten:
World Café Medienvertrauenskrise?! Ursachen, Trends & Lösungsansätze
Das vom DFG-Netzwerk „Medienvertrauen in der digitalen Welt“ organisierte World Café dient dem Austausch zwischen Medien, Wissenschaft und Politik und stellte vor diesem Hintergrund die Frage nach einer „Medienvertrauenskrise“. An vier Tischen wurde sich der Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln angenommen: Strategien der Vertrauensbildung im Journalismus, Plattformisierung, Algorithmen, Alternativmedien: Die Rolle von Vertrauen in der aktuellen Nachrichtenlandschaft, enttäuschte Bevölkerung, enttäuschte Eliten? Ein Blick auf Politik-, Medien- und Bürgerverdrossenheit, Hate Speech, Fake News & Desinformationen: Ursachen & Folgen für Journalismus und Politik.
Pre-Conference Erosion demokratischer Werte? Antidemokratische Akteure in der Öffentlichkeit
Wie können wir antidemokratische Akteure in der Öffentlichkeit und ihren Beitrag zur Erosion demokratischer Werte in der Gesellschaft erforschen? Zu diesem Themenfeld kamen Wissenschaftler:innen zusammen und griffen die Frage in einem Workshop in drei Schritten auf: Zunächst ging es in kurzen Inputs darum, sich auf den aktuellen Wissensstand zu antidemokratischen Akteuren in der Öffentlichkeit zu bringen. Anschließend wurde in kleinen Teams über Forschungsdefizite und Problemlösungen aus verschiedenen Fachperspektiven diskutiert und neue Forschungsziele entwickelt. Im letzten Teil wurden Ideen diskutiert, ob und in welchen Kooperationsformaten Forschungsziele kurz- und mittelfristig umgesetzt werden könnten.
Triggerpunkte - Wie verhalten sich sozialstrukturelle und öffentliche Konflikte zueinander?
Keynote von Steffen Mau mit Begrüßung von Christoph Neuberger, Wissenschaftlicher Geschäftsführer Weizenbaum-Institut
Viele gesellschaftliche Konflikte werden öffentlich ausgetragen, woraus oft der Eindruck einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft entsteht. Vor diesem Hintergrund beschäftigte sich der Vortrag mit der Frage, wie gespalten die Gesellschaft ist und in welchem Verhältnis sozialstrukturell angelegte und öffentliche Konflikte stehen. Anhand von vier Konfliktarenen, in denen über die Verteilung von Gütern und Ressourcen und die Geltung von Werten gestritten wurde, wurde der Konfliktraum beschrieben. Das Konzept der Triggerpunkte wurde genutzt, um zu zeigen, an welchen Sollbruchstellen Konsens in Dissens umschlägt und sich Konflikte emotionalisieren. Ein Augenmerk des Vortrags lag auf der Rolle von Medien und öffentlicher Kommunikation für die Inszenierung und Bewirtschaftung von Konflikten.
Verschwörungserzählungen und Bedrohungswahrnehmungen
Chair der Sitzung: Miriam Milzner, Weizenbaum-Institut, Forschungsgruppe: Dynamiken der digitalen Mobilisierung
Rechtsextreme Akteure und Gegenöffentlichkeiten
Mit Kilian Bühling & Baoning Gong, Weizenbaum-Institut, Forschungsgruppe: Dynamiken der digitalen Mobilisierung
Ephemeralität als Werte-Affordanz: Die taktische Löschung rechtsextremer Botschaften in der AfD auf Telegram
Poster-Session II
mit Christian Strippel, Weizenbaum Digital Science Center
Frei und FAIR? Der Umgang mit Forschungsdaten in der deutschsprachigen Kommunikations- und Medienwissenschaft
Weizenbaum Fellow Talks
Public Values in the Algorithmic Society
Claes de Vreese, University of Amsterdam, Digital Democracy Center at SDU
This presentation unpacked the centrality of and contestation over public values in the algorithmic society. It focused on conditions for centering public values and it analysed which public values are central to different citizens across different societal sectors.
Reluctant prophets and polarized outlooks: The values and risks of future projections in public spheres
Keren Tenenboim-Weinblatt, Hebrew University of Jerusalem
Amid crises and uncertainty, projecting possible futures enables individuals and societies to navigate toward valued outcomes. This talk examined how collective futures are constructed and evaluated within and through the news media, drawing on case studies of election coverage and the Israel-Hamas war. Illuminating the perspectives of both journalists and audiences and the values underlying them, it unpacked the ambivalence of engaging with the future and the interplay between public discourse, social optimism, and political behavior. Addressing the promises and perils of projections in polarized public spheres, the talk concluded with reflections on constructive paths the media can take to help societies orient toward shared futures.
Zwischen Datenqualität und Forschungsfreiheit: Die Zukunft von Mitgliederbefragungen in der DGPuK
mit Christian Strippel, Weizenbaum Digital Science Center
Mitgliederbefragungen haben in der DGPuK eine Tradition. Als Teil der Selbstbeforschung des Fachs liefern sie eine wichtige empirische Grundlage für Diskussionen über die Fachentwicklung. Bisherige Befragungen befassten sich etwa mit der Repräsentation von Frauen im Fach der Arbeitssituation des Mittelbaus und der Struktur der Fachgesellschaft.
So wichtig solche Befragungen für die weitere Professionalisierung des Faches sind, in den letzten Jahren hatten die Studienverantwortlichen zunehmend Schwierigkeiten, ausreichend Befragte zu rekrutieren. Ziel des Workshops war es, einen geeigneten Umgang mit dem Rekrutierungsproblem für zukünftige Mitgliederbefragungen zu finden, ohne die Forschungsfreiheit durch eine allzu starke Regulierung (etwa durch eine Limitierung von Befragungen) einzuschränken.
Digitalisierung und Nachhaltigkeit - Potenziale für die KMW am Science-Policy-Interface
mit Rainer Rehak, Weizenbaum-Institut, Forschungsgruppen: Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Teilhabe / Technik, Macht und Herrschaft
Digitalisierung und Nachhaltigkeit müssen zusammengedacht werden (siehe z. B. WBGU 2019). Entsprechend versuchen zivilgesellschaftliche Akteur:innen, die Digitalisierung „in den Dienst von Gesellschaft und des sozialen und ökologischen Wandels“ (Bits & Bäume 2022) zu stellen und politische Akteure entsprechende politische Regelwerke voranzutreiben (siehe z. B. Rößner et al. 2022). Mit dem Verweis auf evidenz-basiertes Policy-Making, haben sich Schnittstellen zwischen Forschung und Politikentwicklung etabliert (Lange et al. 2023), wenngleich oft ohne Beteiligung der Kommunikations- und Medienwissenschaft (KMW). Bisher beschäftigt sich diese nur vereinzelt mit Digitalisierung und Nachhaltigkeit (Kannengießer 2022), obwohl die relevanten Themen aus KMW-Perspektive vielfältig sind. Am Beispiel von Nachhaltigkeit zeigt sich, in welcher Form die KMW Zukunftsvisionen und positive Leitbilder auf der Basis empirischer Forschung entwickeln und in Policy-Prozesse einspeisen könnte. Denn große digitalpolitische Vorhaben wie der Digital-Services-Act und die KI-Verordnung zeigen, dass Nachhaltigkeit als systemisches Risiko von digitalen Medientechnologien bisher nachranging behandelt wird.
Wahrnehmung von KI und Technik
mit Martin Emmer, Weizenbaum-Institut, Digital Science Center und Roland Toth, Weizenbaum Methoden Lab
Perceptions and Implications of Data Harms to Individuals and Society
Podium: KI und digitale Öffentlichkeit: Stärkung der Demokratie?
Chair der Sitzung: Christoph Neuberger, Wissenschaftlicher Geschäftsführer Weizenbaum-Institut
Panelist:innen:
Rebecca Ciesielski, Reporterin BR AI + Automation Lab I BR Data
Dr. Eva Flecken, Direktorin der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb), Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM)
Prof. Dr. Andreas Jungherr, Lehrstuhl für Politikwissenschaft, insbesondere Digitale Transformation. Universität Bamberg
Prof. Dr. Sandra Wachter, Oxford Internet Institute der University of Oxford, Humboldt-Professur für Künstliche Intelligenz 2025, Hasso-Plattner-Institut (HPI) und Universität Potsdam (UP)
Medienbildung und Medienkompetenz
Session Chair: Baoning Gong, Weizenbaum-Institut, Forschungsgruppe: Dynamiken der digitalen Mobilisierung
Freiheit zu Schweigen? Kommunikationswissenschaft in Zeiten von Krieg, Konflikten und Polarisierung
Chair der Sitzung: Christian Strippel, Weizenbaum Digital Science Center
Mehr als ein Jahr nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem Beginn der Bombardierung und Invasion des Gazastreifens durch das israelische Militär befindet sich die politische Öffentlichkeit in Deutschland in einem besorgniserregenden Zustand. Meldestellen verzeichnen einen starken Anstieg antisemitischer, antimuslimischer und anderer rassistischer Vorfälle, die Mitte-Studie und die Leipziger Autoritarismus Studie berichten von einer Zunahme antidemokratischer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung und aus der Zivilgesellschaft häufen sich die Klagen über Repressionen gegen Kritiker:innen der israelischen Kriegsführung und deutscher Waffenlieferungen sowie über eine einseitige Medienberichterstattung. Der Nahostkonflikt hat die politische Öffentlichkeit in Deutschland so stark polarisiert, dass sie an die Grenzen ihres deliberativen Potenzials gestoßen zu sein scheint.
Die Besonderheit dieses Konflikts und der Polarisierung um ihn lässt sich mitunter auch daran ablesen, dass er – im Gegensatz zu anderen Krisen und Kriegen wie der Corona-Pandemie, dem Ukraine-Krieg oder dem Klimawandel – von der deutschsprachigen Kommunikationswissenschaft bislang weitgehend ignoriert wurde. Eine Jahrestagung, die sich zum Ziel gesetzt hat, „sich über Werte […] zu verständigen, sie auch in globaler Perspektive kritisch zu prüfen“, bot somit eine gute Gelegenheit, sich im Kreis der Fachgemeinschaft zu fragen, worauf diese Zurückhaltung zurückzuführen ist. Liegt es an der normativen Ausrichtung, am Wissenschaftsverständnis oder an der Geschichte des Faches? Liegt es an fehlendem Interesse, mangelnder Politisierung oder begrenzter Internationalisierung? Was ist aus dem Anspruch einer „öffentlichen Kommunikationswissenschaft“ geworden? Fürchten wir, uns in polarisierten Debatten zu Wort zu melden? Welche Rolle spielen dabei die Institutionen, in denen wir arbeiten? Wie weit reicht unsere wissenschaftliche Freiheit? Wie weit sind wir bereit, sie zu nutzen?
Teilnehmende:
Kai Hafez, Professur für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Vergleichende Analyse von Mediensystemen / Kommunikationskulturen, Universität Erfurt
Carsten Reinemann, Professur für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Politische Kommunikation, LMU München
Mandy Tröger, Walter Benjamin Fellow der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Universität Tübingen
Entnetzung und Digitale Selbstbestimmung
Session Chair: Kilian Bühling, Weizenbaum-Institut, Forschungsgruppe: Dynamiken der digitalen Mobilisierung