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Warum ist die extreme Rechte so erfolgreich?

Eine der drängendsten Fragen für das Jahr 2025 ist die nach den Ursachen für das anhaltende Erstarken der extremen Rechten. Ein Netzwerk junger Forscher:innen untersucht die Hintergründe dieses internationalen Phänomens. Spoiler: Es geht um mehr als TikTok.

Die Frage nach den Bedingungen, die rechtsradikale Gruppen so erfolgreich machen, ist im vergangenen Jahr immer drängender geworden. Egal, wohin man blickt oder welche Wahl aus dem Jahr 2024 man analysiert – der Aufstieg der Rechtsextremen ist unübersehbar und verdient nicht nur mit Blick auf den 23. Februar besondere Aufmerksamkeit. Die Politikwissenschaftler:innen, Kommunikationswissenschaftler:innen und Soziolog:innen des Netzwerks „Contemporary Research of the Far Right“ befassen sich bereits seit längerem mit rechtsextremen Gruppen – unabhängig von ihrer tagesaktuellen Relevanz. Auf die Frage nach ihrer Stimmung nach den letzten politischen Ereignissen, bekommt man ein kurzes: „Enttäuscht, aber nicht überrascht“ zu hören.

Im November 2024 trafen sich etwa 15 von ihnen am Weizenbaum-Institut. Das informelle Netzwerk aus Sozialwissenschaftler:innen vom Weizenbaum-Institut, der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung trifft sich etwa dreimal im Jahr zum regelmäßigen Austausch über die aktuelle Forschungsarbeit. Dieses Mal lag der Fokus auf den gesellschaftlichen Bedingungen, die rechtsextreme Kräfte begünstigen, sowie auf den Strategien und Taktiken, die sie anwenden.


Gesellschaftliche Erfolgsgrundlagen und Radikalisierungsmomente

Lorena Drakula, Steffen Göths und Florian Primig untersuchten in ihren Vorträgen spezifische Faktoren, die den Nährboden für den Erfolg rechtsextremer Ideologien bilden. Luciano Santander Hoces konzentrierte sich in seinem Beitrag auf die Radikalisierung rechtsextremer Akteure selbst.

Lorena Drakula (Freie Universität Berlin) konzentriert sich in ihrer Forschung auf das Konzept der Entfremdung, und betont, dass es zentral für das Verständnis der Anziehungskraft rechtsextremer Narrative sei. Sie erläuterte, wie die extreme Rechte eine Rückkehr zu vergangenen sozialen Normen verspricht – verankert in einer idealisierten, vermeintlich homogenen Identität – und in Zeiten des Bedeutungsverlusts eine romantisierte Vorstellung von traditioneller Ordnung propagiert. Diese Ansprache subjektiver Entfremdung, so Drakula, finde besonders bei Menschen Anklang, die reale Belastungen durch Globalisierung und Desillusionierung über demokratische Institution erfahren. Sie zeigte auf, dass rechtsextreme Ideologien linke Kritiken am Status quo geschickt vereinnahmen, dabei jedoch eine fundamentale Grenze haben: Ihre Rhetorik, die Ordnung und Tradition verklärt, bleibt unfähig, die objektive Dimension der Entfremdung zu erfassen. Statt sie zu überwinden, integriert sie Individuen in jene Strukturen, die diese Entfremdung fortlaufend reproduzieren.

Steffen Göths (Freie Universität) untersucht in seiner Arbeit die Anziehungskraft von Verschwörungstheorien und stellte sie in seinem Vortrag als Versuche dar, in einer chaotischen Welt ein Gefühl von Kontrolle und Verständnis wiederherzustellen. Indem sie Machtzentren lokalisieren und den vermeintlichen Machthabern Verantwortung zuschreiben, sind sie verführerische Gegenerzählungen zu offiziellen oder hegemonialen Erklärungen, die oft mit strukturellen Problemen verbunden sind. So hat beispielsweise die öffentliche Frustration über die Profite der Impfstoffhersteller während der COVID-19-Pandemie den Glauben genährt, das Virus sei absichtlich hergestellt worden. Göths argumentierte, dass viele Gegenstrategien wie Faktenchecks oder Medienkompetenzprogramme zu kurz greifen, weil sie Verschwörungstheorien als individuelle Fehler und nicht als strukturelle Phänomene behandeln.

Florian Primig (Freie Universität) analysierte die Anziehungskraft einer rechtsextremen „Gegenwissensordnung“ und setzte sie in Beziehung zu den Schwächen der modernen Wissensgesellschaft. Diese ist oft von einem neoliberalen Wettbewerb geprägt, in dem es darum geht, wer „am besten Bescheid weiß“, und in dem Menschen je nach ihrem vermeintlichen Erfolg in der Wissensökonomie unterschiedlich bewertet werden. Primig erklärte, dass rechtsextremes Gegenwissen deshalb attraktiv wirkt, weil es diese Hierarchien oberflächlich infrage stellt und eine vermeintliche Alternative bietet: Es ermöglicht Menschen, sich als wissend und überlegen zu fühlen, ohne sich dem offenen Wettbewerb der Ideen stellen zu müssen – eine Art „mühelose Dominanz“, selbst wenn die verbreiteten Informationen falsch sind. Indem sie etablierte Wissensstrukturen unterwandern, suggerieren rechtsextreme Ideologien, Individuen aus dem Druck des bestehenden Systems zu befreien – während sie in Wahrheit darauf abzielen, eine ungerechte soziale Ordnung mit alten Machtverhältnissen wiederherzustellen.

Luciano Santander Hoces (Freie Universität Berlin) untersuchte die Rolle von Emotionen in den verschiedenen Phasen der Radikalisierung rechtsextremer Akteure in Chile. Mithilfe von Interviews mit führenden Vertretern der extremen Rechten kartierte er deren politische Werdegänge und identifizierte wiederkehrende Narrative. Besonders hervor trat die Bedeutung emotionaler Dynamiken und persönlicher Lebenswege für das Verständnis rechtsextremer Gegenbewegungen. Die Analyse individueller Lebensgeschichten brachte emotionale Erzählungen ans Licht, die sich als zentral für den Radikalisierungsprozess erwiesen. Eine zentrale Erkenntnis war das verstärkte Aufkommen rechtsextremer Radikalisierung nach den chilenischen Protesten von 2019 – gekennzeichnet durch eine vehemente Verteidigung des autoritären Neoliberalismus und der Verfassung von 1980.


Öffentliche Kommunikationsinfrastrukturen mit rechter Schlagseite

Die Keynote des Tages von Curd Knüpfer (Associate Professor für Politische Kommunikation an der Universität Süddänemark und assoziierter Forscher am Weizenbaum-Institut) bot eine umfassende Analyse der öffentlichen Kommunikationsökosysteme, mit besonderem Fokus auf die Vereinigten Staaten. Knüpfer argumentierte, dass die Linke einen schwierigen Kampf um Aufmerksamkeit führe: Unsere aktuellen öffentlichen Kommunikationsstrukturen befänden sich in einer Krise und diese Strukturen auf eine Weise verzerrt seien, die in mehrfacher Hinsicht der extremen Rechten zugutekommt. Knüpfer zeigte auf, dass die extreme Rechte von YouTube-Influencern über Multimedia-Konzerne, Zeitungen bis hin zu sozialen Medien mehr Medien kontrolliert, besser vernetzt ist und eine größere ideologische Disziplin wahrt. Darüber hinaus sei der Populismus der extremen Rechten gut geeignet für Mediennetzwerke, die Engagement, Provokationen und Vereinfachungen belohnen. Knüpfer vertrat die Ansicht, dass dies der extremen Rechten ermöglicht habe, sich als eine „phantomhafte Gegenöffentlichkeit“ zu positionieren, die von vielen als entmündigte Subkultur wahrgenommen wird, obwohl sie über erhebliche politische Macht verfügt.


Die Mobilisierungs- und Netzwerktaktiken der extremen Rechten

Die Workshop-Beiträge von Zita Seichter, Baoning Gong und Dominika Tronina beleuchteten die Medientaktiken, die digitale Mobilisierung und internationalen Vernetzungsstrategien von rechtsextremen Akteur:innen.

In ihrem Projekt „Doing Ordinary Spaces“ untersuchte Zita Seichter (HafenCity Universität Hamburg), wie rechtsextreme Vorstellungen von zukünftigen Räumen auf TikTok mitkonstruiert werden und zur Normalisierung rechtsextremer Ideologien beitragen. Auf der Plattform werden Videos von friedlichen, malerischen urbanen Orten ohne rassialisierte „Andere“ veröffentlicht, angesehen und kommentiert. Diese präfigurativen Praktiken prägen kollektiv die Wahrnehmung solcher Räume und idealisieren sie – genau wegen der Abwesenheit dieser „Anderen“ – auf subtile Weise. Die Umdeutung dieser exklusiven Räume als „alltäglich“ und ansprechend verändert die rechtsextreme Ideologie implizit und stellt einen Kontrast zu den groß angelegten urbanen Visionen dar, die typischerweise von der extremen Rechten entworfen werden. Auch wenn es sich nicht um eine formale politische Strategie handelt, verstärkt die vermeintliche Alltäglichkeit dieser Räume rechtsextreme Ideologien, indem sie Exklusion als etwas Natürliches und Erstrebenswertes erscheinen lässt.

In einem laufenden Projekt untersuchen Baoning Gong und Kilian Buehling (beide vom Weizenbaum-Institut) die Aktivitäten der extremen Rechten auf Telegram, insbesondere wie die AfD während der Landtagswahlkämpfe 2024 die Löschfunktion der Plattform gezielt einsetzte. Gong wies darauf hin, dass die nachträgliche Löschung von Nachrichten Nutzer:innen zwar zu freierem Teilen anregen kann, gleichzeitig jedoch auch die Manipulation des öffentlichen Diskurses erleichtert. Ihre Analyse zeigte einen deutlichen Anstieg von Nachrichtenlöschungen nach den Wahlen, was eine genauere Untersuchung der möglichen Ursachen dieses Trends erfordert. Die Löschfunktionen von Telegram bieten Politiker:innen – hauptsächlich radikalen und extremistischen Akteuren der extremen Rechten – die Möglichkeit, ihr öffentliches Image während Wahlkämpfen zu kontrollieren oder sogar Spuren ihrer Aktivitäten zu beseitigen. Gong betonte die Notwendigkeit, nachvollziehen zu können, warum Inhalte gelöscht wurden, um Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

Dominika Tronina (Humboldt-Universität zu Berlin) analysierte im Fokus der Anti-Gender-Bewegung deren Strategien für transnationale Vernetzung im Internet. Durch die Untersuchung von Tweets von Akteur:innen aus der Bewegung aus fünf EU-Ländern stellte sie fest, dass internationale Vernetzung häufig von nationalen Kontexten beeinflusst wird. Anti-Gender-Bewegungen, die im eigenen Land auf Widerstand stoßen, neigen dazu, Verbündete im Ausland zu suchen; sobald eine Bewegung im Inland an Fahrt gewinnt, suchen ihre Mitglieder institutionelle Wege für weiteres Wachstum.

Jazmín Duarte Sckell (Freie Universität Berlin / SCRIPTS) untersuchte die Mobilisierungstaktiken der extremen Rechten im südlichen Lateinamerika – in Brasilien, Uruguay, Argentinien und Chile – und die Bedingungen für ihren Aufstieg. Sie differenzierte zwischen kontextuellen Faktoren wie der wirtschaftlichen Lage und dem Niedergang etablierter politischer Parteien sowie gezielten Aspekten wie den Kommunikationsstrategien der extremen Rechten und ihrer transnationalen Vernetzung. Duarte Sckell hob hervor, dass die wirtschaftliche Krise, obwohl sie eine wichtige Rolle spielte, Jahre vor dem politischen Aufstieg der extremen Rechten begann. Das entstehende politische Vakuum war zwar entscheidend, doch es war vor allem die Fähigkeit der rechten Kandidat:innen, sich als politische Außenseiter zu präsentieren, die ihren Aufstieg letztlich ermöglichte. Sie identifizierte gängige Strategien der extremen Rechten, wie etwa eine Polarisierung durch Angst, die anti-LGBTQ- und antifeministische Narrative mit Antikommunismus verknüpft, eine Betonung von Sicherheit und Ordnung sowie den Zugang zu offline Netzwerken, etwa Kirchen. Durch ihre transnationale Vernetzung strebt die extreme Rechte an, internationale Anerkennung zu erlangen, Wissen auszutauschen und finanzielle Unterstützung zu sichern. Netzwerke wie „Family Values“ und „Tradition, Family, and Property“ spielen eine zentrale Rolle bei der globalen Vernetzung rechtsextremer Gruppierungen.

Der Workshop verdeutlichte insgesamt die Komplexität und Vielschichtigkeit der Faktoren, die den Erfolg rechtsextremer Ideologien vorantreiben. Diejenigen, die gegen diese Bewegungen ankämpfen, haben zweifellos eine anspruchsvolle Aufgabe vor sich. Es wird immer deutlicher, dass der Schutz liberaler Demokratien und pluralistischer Gesellschaften mehr erfordert als schnelle Lösungen oder individualistische Ansätze. Während digitale Plattformen und Kommunikationsstrukturen in ihrer aktuellen Form bei weitem nicht neutral sind, wäre es ebenfalls fahrlässig, die wirtschaftlichen Missstände und das mangelnde Vertrauen in demokratische Institutionen zu ignorieren, die dem Aufstieg der extremen Rechten vorangingen. Die Wissenschaftler:innen des Netzwerks „Contemporary Research on Far-Right Politics“ werden sich weiterhin treffen und uns dabei helfen, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, was uns in Zukunft bevorsteht.

 

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Dieses Interview ist Teil des Fokus „Zusammenhalt in der Vernetzen Gesellschaft.“ Wissenschaftler:innen des Weizenbaum-Institutes geben in Interviews, Berichten und Dossiers Einblicke in ihre Forschung zu den verschiedensten Aspekten von digitaler Demokratie und digitaler Teilhabe. Mehr erfahren