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Nachwuchsforschung zur radikalen Rechten

Die Rechtsextremen sind auf dem Vormarsch. Eine Gruppe junger Sozialwissenschaftler:innen erforscht ihre Methoden, Narrative und Allianzen. Wir durften bei einem ihrer Workshops dabei sein.

Im April 2024 kamen rund 20 junge Wissenschaftler:innen am Weizenbaum-Institut zusammen, um über ihre aktuellen Forschungsprojekte zu diskutieren. Was alle gemeinsam haben: Sie erforschen die radikale Rechte. "Wir treffen uns dreimal im Jahr", sagt Weizenbaum-Forscher Kilian Bühling "um uns über den aktuellen Stand unserer Arbeit auszutauschen und über bestimmte Themen zu diskutieren, die uns alle in unserer Forschung begegnen." Er hat den Workshop gemeinsam mit Susanne Reinhardt (Freie Universität Berlin) und Dominika Tronina (Humboldt-Universität) organisiert. Die Treffen sind Teil eines informellen Netzwerks von Sozialwissenschaftler:innen, unter anderem aus dem Weizenbaum-Institut, der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Das Spektrum der Forschungsthemen, die von Politikwissenschaftler:innen, Kommunikationswissenschaftler:innen und Soziolog:innen in den Workshop eingebracht werden, ist breit.

Francesca Feo beispielsweise hat die geschlechtsspezifische Diskrepanz bei rechtsextremen Wähler:innen in Italien und ihre Einstellung zu Geschlechterpolitik - unter anderem zum Zugang zu Abtreibung - analysiert. Im italienischen Kontext ist Geschlecht ein polarisierendes Thema. Sexistische Einstellungen sind ein relevanter Faktor für rechtsextreme Wähler:innen, sogar der wichtigste Faktor bei der Vorhersage von Wählerstimmen, sagt Feo. Aber viele Fragen bleiben unbeantwortet, und es braucht noch mehr Daten und Indikatoren. Die letzte Wahl war die erste, bei der Fragen zu Geschlecht politisiert wurden. Die extreme Rechte versucht derzeit, eine kulturelle Hegemonie aufzubauen und die öffentliche Meinung in diese Richtung zu beeinflussen. Ob die Menschen die Partei explizit wegen ihrer geschlechterpolitischen Positionen gewählt haben, ist derzeit jedoch noch unklar.

Der Workshop im April war bereits die vierte Veranstaltung dieser Art. Die Treffen begannen im Jahr 2023, als Forschende des Instituts für Vergleichende Demokratieforschung an der Humboldt-Universität andere Nachwuchswissenschaftler:innen aus Berliner Institutionen, die sich mit der Extremen Rechten beschäftigen, ansprachen. Forscher:innen des Weizenbaum-Instituts, des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und der Freien Universität Berlin schlossen sich an. Bühling war bereits beim ersten Workshop dabei. Er untersucht, wie rechte Gruppen Verschwörungstheorien nutzen, um ihre Basis über Social-Media-Plattformen und alternative Medien zu mobilisieren.  "Innerhalb unserer eigenen Institutionen sind wir nur weniges Wissenschaftler:innen unter vielen die zu einem Randthema arbeiten", so der Kommunikationswissenschaftler, "da ist der Austausch in dieser größeren Gruppe sehr hilfreich."

Hilfreiches Feedback gab es auch für David Meiering. Sein Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der Zusammenarbeit zwischen der CDU und der rechtsextremen AfD auf Länderebene. Er hat gemeinsame Narrative zum Verbot geschlechtergerechter Sprache identifiziert, die in einzelnen CDU-geführten Bundesländern bereits umgesetzt wurden. Teil des Projekts ist eine Salienzanalyse von Genderdiskursen in parlamentarischen Debatten, die sowohl die Diskurse als auch ihre Rahmungen identifiziert und analysiert. Diese diskursiven Allianzen zwischen Konservativen und Rechten können als Backslash-Koalitionen zu progressiven Politiken verstanden werden. Unklar ist jedoch, ob die CDU aus Konkurrenzgründen Positionen der AfD übernimmt oder ob rechte Gruppierungen innerhalb der konservativen Partei lediglich an Stärke gewinnen und innerparteiliche Konflikte dominieren.

Die Idee eines Backlash gegen den radikalen Feminismus steht im Mittelpunkt eines Papers, das Ann-Kathrin Rothermel, derzeit an der Universität Bern, auf dem Workshop vorstellte. Sie forscht in einem Horizon Europe-Projekts, dass die Rolle von Gender bei Wahlerfolgen der extremen Rechten in Europa untersucht. Anhand von Daten aus diesem Projekt analysierte Rothermel, wie Rechtsextreme in Deutschland und der Schweiz die Radikalität des Feminismus verdrehen, um sich als Gegenbewegung zu präsentieren, die gegen einen "Mainstream-Gender-Push" rebelliert, der auf eine "radikale Transformation der Gesellschaft" abziele. Dieses Narrativ hilft rechten Parteien, sich als Nischen- und Protestparteien zu profilieren. Wie Rothermel ausführt, werden häufig Theorien der radikalen Linken für den Aufstieg der radikalen Rechten verantwortlich gemacht, ebenso wie poststrukturelle Diskurse häufig als Vorläufer von Post-Wahrheitsdiskursen diskutiert werden. Der Beitrag entwirrt jedoch die Dynamik der radikalen Behauptungen der Rechten und vergleicht sie mit der "Radikalität" des Feminismus, um zu zeigen, dass beide Behauptungen unbegründet sind.

In seiner Dissertation befasst sich Luciano Santander Hoces mit dem rechtsextremen Backlash in Chile und dem aktuellen Wiederaufleben des autoritären Neoliberalismus. Auf dem Workshop reflektierte er seine eigene Rolle als Forscher bei der Befragung des Führungspersonals rechtsextremer politscher Parteien und untersuchte die Gründe, warum diese Informanten dem Gespräch mit dem Sozialwissenschaftler zustimmten. Santander identifizierte die soziale Klasse, Eurozentrismus - eine Faszination für Deutschland und das europäische Erbe - und weiße Männlichkeit als unterstützende Faktoren. Einige der Befragten hatten die gleiche Universität besucht wie er, sie hatten großes Interesse, seinen deutschen Kollegen kennenzulernen, und sie waren alle Männer. Keine der angefragten Frauen hatte sich zu einem Interview bereit erklärt. Die Gruppe diskutierte später darüber, wie er diese Erkenntnisse in seine Arbeit einfließen lassen könnte.

Nach den Präsentationen wandte sich die Diskussion den Allianzen zwischen neoliberalen politischen Gruppen und der extremen Rechten zu, die durch Geldgeber, internationale Gipfeltreffen oder globale Netzwerke zustande kommen. Dabei ging es auch darum, inwieweit neoliberale Politiken durch Fragen der Kultur oder Gender verdeckt werden. Eine zweite Gruppe sprach über die Diskrepanzen zwischen den Forderungen und Wahlkampf-Narrativen der Rechtsextremen und dem, was sie tatsächlich tun, wenn sie an der Macht sind. "Die Rechten reden viel über traditionelle Familienwerte, aber wenn es um Fragen der Pflege- oder Sorgearbeit geht, tun sie nicht viel, wenn sie im Amt sind", bemerkte ein Teilnehmer.

Für das nächste Treffen kehren die Wissenschaftler:innen im Spätherbst dieses Jahres ans Weizenbaum-Institut zurück. Baoning Gong steckt zusammen mit Florian Primig (Freie Universität Berlin) bereits mitten in den Vorbereitungen für den nächsten Workshop. Als Doktorandin am Weizenbaum-Institut untersucht sie, wie die Funktionalitäten von Social-Media-Plattformen rechte Mobilisierung beeinflussen und vergleicht dabei Mainstream- und Fringe-Plattformen sowie rechtsextreme Bewegungen in Deutschland und den USA. "Der nächste Workshop wird sich mit den Bedingungen befassen, unter denen die extreme Rechte erstarkt und warum sie für viele Menschen so attraktiv ist", sagt Gong, "um ihren Erfolg besser zu verstehen, aber auch, was den Widerstand gegen diese Kräfte ausmacht."

 


 

Dieser Bericht ist Teil des Fokus „Zusammenhalt in der vernetzen Gesellschaft.“ Wissenschaftler*innen des Weizenbaum-Institutes geben in Interviews, Berichten und Dossiers Einblicke in ihre Forschung zu den verschiedensten Aspekten von digitaler Demokratie und digitaler Teilhabe. Mehr erfahren