
Protestjahr 2024: Mehr Demonstrationen, weniger Engagement der Bessergestellten
Der Weizenbaum Report 2025 liefert repräsentative Zahlen zu politischer Partizipation, bürgerschaftlichem Engagement und finanzieller Teilhabe in Deutschland.
Fast jede:r Fünfte war im Vorjahr mindestens einmal demonstrieren – ein neuer Höchststand. Dass viele andere Formen der politischen Beteiligung hingegen rückläufig sind, ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass sich insbesondere die obere Mittelschicht zurückgezogen hat.
Am deutlichsten ist diese Tendenz bei Aktivitäten, die direkt mit Geld verbunden sind, zum Beispiel bei Spenden. Bei den Bessergestellten fiel der Anteil derjenigen, die Geld an eine politische, soziale oder gemeinnützige Organisation gespendet haben, von 75 Prozent (2022) auf 53 Prozent (2024). In demselben Zeitraum ist der Anteil der Spender:innen unter den weniger gut situierten Bürger:innen von 40 auf 47 Prozent angestiegen.
Martin Emmer, Principal Investigator am Weizenbaum-Institut, betont: „Die aktuellen gesellschaftlichen Spaltungstendenzen werden auch im Bereich politischer Partizipation sichtbar: Einerseits trieb die Sorge vor autoritären Bedrohungen der Demokratie viele Menschen im Jahr 2024 auf die Straße; andererseits ziehen sich gerade Wohlhabendere unter dem Eindruck der aktuellen Krisen offenbar etwas aus dem Engagement für die Gesellschaft zurück. Hier wäre es die Aufgabe von Politik und Zivilgesellschaft, alle Teile der Gesellschaft wieder stärker miteinander ins Gespräch zu bringen.“
Entgegen der öffentlichen Debatte um Politikverdrossenheit und Ampelfrust haben sich im Jahr 2024 Demokratiezufriedenheit und Regierungsvertrauen nach Jahren des Rückgangs wieder leicht erholt. Dabei sorgt sich eine große Mehrheit um die demokratische Kultur: 79 Prozent der Deutschen halten Drohungen und Gewalt gegen Politiker:innen für verbreitet, zwei Drittel sehen darin eine Gefahr für die Demokratie.
Weitere Befunde des Weizenbaum Report 2025:
Digitale Medien gewinnen weiter an Bedeutung
Die Nutzung des Internets für politische Informationen stagniert zwar, gewinnt aber durch den Rückgang traditioneller Medien an Gewicht. Besonders soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram haben an Bedeutung gewonnen. Dies könnte die politische Meinungsbildung stärker beeinflusst haben als in früheren Wahljahren.
Einsatz gegen Hass und Falschnachrichten stabil
Digitale Zivilcourage und Aktivismus bleiben konstant: 40 Prozent der Deutschen haben 2024 Hasskommentare im Netz gesehen, ein Drittel von ihnen hat aktiv dagegen gehandelt. Der Einsatz gegen Falschnachrichten ist ebenfalls hoch: 27 Prozent haben „Fake News“ eigenständig überprüft, 20 Prozent haben andere davor gewarnt.
Finanzielle Teilhabe als neue Herausforderung
Erstmalig erhoben wurden Fragen der finanziellen Teilhabe. Die Nutzung digitaler Bezahldienste zeigt erhebliche einkommensbezogene Unterschiede. Besonders unter jüngeren und einkommensschwächeren Gruppen steigt das Risiko der Überschuldung durch die Nutzung digitaler Bezahldienste wie Klarna.
Alexandra Keiner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Weizenbaum-Institut, erklärt: „In Deutschland besitzen nahezu alle Bürger:innen ein Bankkonto. Doch bei genauerem Blick auf die einzelnen Bezahlmöglichkeiten zeigen sich deutliche Unterschiede nach Einkommen und Geschlecht. Vor allem Kreditkarten sowie digitale Bezahldienste wie PayPal oder Apple, Google und Samsung Pay werden deutlich häufiger von Besserverdienenden und Männern genutzt. Dadurch ist die finanzielle Teilhabe von Frauen und einkommensschwachen Gruppen eingeschränkt – sie können etwa nicht flexibel online bezahlen oder verfügen über keinen Kreditrahmen, den sie später ausgleichen könnten.“
Weitere Informationen
Insgesamt wurden 2.658 Personen telefonisch befragt, von denen etwa 42 Prozent bereits im Vorjahr 2023 teilgenommen hatten. Die neu rekrutierten Befragten wurden nach einem Zufallsverfahren aus der deutschsprachigen Bevölkerung in Deutschland ab 16 Jahren ausgewählt. Weiterführende Informationen und eine ausführliche Erläuterung der Methodik finden sich hier: https://panel.weizenbaum-institut.de/ressourcen/
Download: Weizenbaum Report 2025
Veranstaltung: Vortrag und Podiumsdiskussion zur Präsentation des Weizenbaum Report 2025
Ansprechpersonen
Prof. Dr. Martin Emmer
Principal Investigator
Christian Strippel
Forschungsgruppenleiter Weizenbaum Panel und Methodenlab