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A black keyboard at the bottom of the picture has an open book on it, with red words in labels floating on top, with a letter A balanced on top of them. The perspective makes the composition form a kind of triangle from the keyboard to the capital A. The AI filter makes it look like a messy, with a kind of cartoon style.

ChatGPT ist gekommen, um zu bleiben: Generative Sprachmodelle und Chatbots in der Bildung

Der Einsatz von ChatGPT in Klassenzimmern oder Hörsälen schürt Unsicherheiten und Ängste, dass niemand mehr etwas lernt. Im Interview erzählen Gergana Vladova, Diana Knodel und Sofia Schöbel von den Gefahren und Potenzialen generativer Künstlicher Intelligenz für die Pädagogik.

 

Was können Schüler:innen und Studierende von generativen Sprachmodellen lernen? Welche pädagogischen Vorteile gibt es?

Sofia Schöbel: Generative KI wie ChatGPT folgt einem dialogischen Aufbau. Besonders in Bezug auf das selbstregulierte Lernen kann eine Interaktion mit einem Chatbot nützlich sein. Der Chatbot hilft Lernenden dabei, Inhalte Schritt für Schritt dialogisch zu vertiefen. Das ist oft auch unterhaltsamer und erleichtert das Lernen. Chatbots können individuell gestaltet werden, womit sie sich an den Lernzyklus und Fortschritt der Lernenden flexibel anpassen können. ChatGPT zeigt Schüler:innen und Studierenden auf, wie eine generative KI funktioniert. Dies wiederum kann Studierenden zeigen und verdeutlichen, welche Rolle Daten in Bezug auf die Künstliche Intelligenz spielen.

Gergana Vladova: Der Umgang mit generativen Sprachmodellen bietet zum ersten mal die Möglichkeit, eine Konversation mit einer technischen Entität durchzuführen, die sich erstaunlich echt anfühlt. Ganz im Sinne von Joseph Weizenbaum und seiner ELIZA, – der erste, bereits 1966 entwickelte Chatbot – die mithilfe verschiedener Skripte als eine echte Gesprächspartnerin wirken sollte und das erstaunlicherweise geschafft hat, auch wenn die Gespräche sehr beschränkt waren. Bereits damals hat Weizenbaum darauf aufmerksam gemacht, solche Entwicklungen kritisch zu betrachten. Und ich hoffe, dass dies – gerade aktuell in Gestalt von ChatGPT – so   Einzug in die schulische Bildung bekommt, dass gelernt wird, die Antworten zu hinterfragen, zu reflektieren und die KI spielerisch einzusetzen, und die eigene Kreativität und das Verständnis für die Technologie zu fördern.

Diana Knodel: Generative Sprachmodelle wie ChatGPT, bieten Schüler:innen und Studierenden eine breite Palette an Lernmöglichkeiten. Durch den Einsatz von darauf basierenden Tools, wie z.B. KI-Assistenzen können Schüler:innen personalisierte und adaptive Lernumgebungen nutzen. Auch beim kreativen Schreiben und sprachlichen Ausdruck kann eine KI unterstützen, indem sie als Inspiration dient und wertvolles Feedback zu Texten gibt. Darüber hinaus ermöglicht sie einen einfachen Zugang zu umfangreichem Wissen und kann als effektives Werkzeug für Recherchen und Informationsbeschaffung dienen.
 

Welche Risiken gibt es beim Einsatz in der Lehre und wie müssen sich Lerninhalte und Methoden anpassen, um diesen zu begegnen?

Diana Knodel: Es besteht beim Einsatz dieser generativen Sprachmodelle die Gefahr, dass Schüler:innen und Studierende zu stark von der KI-Assistenz abhängig werden und ihre eigenen Denk- und Problemlösungsfähigkeiten vernachlässigen. Um diesem Risiko entgegenzuwirken, ist es wichtig, dass der Einsatz der KI als unterstützendes Instrument verstanden wird, das den Lernprozess ergänzt und nicht ersetzt. Lerninhalte und Methoden sollten darauf abzielen, kritisches Denken, Problemlösungskompetenz und den Umgang mit Unsicherheit zu fördern.

Sofia Schöbel: ChatGPT wird durch den Menschen trainiert, es lernt von uns. Alles, was ChatGPT uns als Antworten generiert ist zuallererst nicht geprüftes Wissen. Dementsprechend ist es wichtig, die ausgegebenen Inhalte kritisch zu hinterfragen und sich keinesfalls blind auf die Antworten von ChatGPT zu verlassen. In der Lehre sollten wir vermehrt das analytische, problemorientierte und kritisches Denken schulen und vermitteln, wie genau eine generative Künstliche Intelligenz funktioniert.

Gergana Vladova: Für Schüler:innen und Studierende, wie aber auch für Erwachsene, besteht eine große Versuchung darin, ChatGPT als Allzweckwaffe für tägliche lästige Aufgaben zu benutzen. Hausaufgaben schreiben, Texte verfassen, Informationen suchen, sogar Präsentationen erstellen. Zum einen ist das ein Ausdruck von zu viel Vertrauen in die Technologie, die aber eine Blackbox beinhaltet und somit so einem Vertrauen nicht gerecht ist. Zum anderen kann das dazu führen, dass bestimmte Fähigkeiten nicht entwickelt werden, wie zum Beispiel Erfinden von Geschichten, recherchieren und selbstständig filtern. Hierzu brauchen wir geeignete Lernsettings und gut ausgebildete Lehrkräfte.
 

Wie sinnvoll ist es, generative Sprach-Tools zu verbieten, oder zumindest die Nutzung einzuschränken?

Gergana Vladova: Ich glaube nicht, dass es überhaupt möglich ist, diese Entwicklung aufzuhalten. Denn sie ist global und – auch wenn sie im Unterricht verboten wird – kann sie trotzdem Zuhause für die Vor- oder Nachbereitung genutzt werden. Und aus meiner Sicht wird es genau eine der Kompetenzen der Zukunft sein, mit solchen Technologien kritisch und selbstbestimmend umgehen zu können. Deswegen bin ich für Kompetenzaufbau, nicht für Verbot.

Sofia Schöbel: Wir streben an digitaler zu werden. Dementsprechend müssen wir uns mit Themen rund um Künstliche Intelligenz auseinandersetzen. ChatGPT zeigt, wie eine generative Künstliche Intelligenz funktionieren kann. Anstelle einer Einschränkung von ChatGPT sollten wir uns in der Bildung darauf konzentrieren, Risiken zu verdeutlichen, Chancen aufzuzeigen und den sicheren und sinnvollen Umgang mit diesen Tools im frühen Alter zu trainieren. 

Diana Knodel: Die Tools bieten zahlreiche pädagogische Vorteile und können eine wertvolle Ressource im Lernprozess sein. Statt eines Verbots sollten wir darauf abzielen, Schüler:innen und Studierenden ein Bewusstsein für die Chancen und die Herausforderungen der Nutzung zu vermitteln. Dabei spielt Medienkompetenz eine wichtige Rolle. Gleichzeitig sollten klare Richtlinien und Ethikstandards entwickelt werden, um den Missbrauch oder die Verbreitung von irreführenden Informationen einzudämmen
 

Wie können wir den Unsicherheiten von Eltern und Lehrer:innen im Umgang mit diesen Tools begegnen?

Sofia Schöbel: Ähnlich wie Schüler:innen und Studierende sollten auch Eltern und Lehrkräfte zuerst den Umgang mit ChatGPT verstehen. Dazu gehört eine Verdeutlichung von Grundlagen von Künstlicher Intelligenz sowie die Demonstration der Anwendung von ChatGPT. Das Tool kann eine sinnvolle Ergänzung des Lehrprogrammes sein und dies kann man durch Veranschaulichungen deutlich machen. 

Diana Knodel: Hier ist Austausch und Aufklärung von großer Bedeutung. Eltern und Lehrer:innen sollten umfassend über die Funktionsweise von Sprachmodellen wie ChatGPT informiert werden und ein Verständnis für ihre Potenziale und Grenzen entwickeln. Wir von fobizz setzen uns dafür ein, einen offenen Dialog zu führen und Fragen zu beantworten, um mögliche Bedenken auszuräumen. Wir bieten Weiterbildungen für Lehrkräfte sowie auch digitale Elternabende rund um das Thema KI an, und wir merken, das Interesse ist groß.

Gergana Vladova: Es gilt für uns alle vorrangig als Bedingung für den sicheren und selbstbestimmten Umgang: Kompetenzen aufbauen, um die Funktionsweise, Chancen und Risiken zu verstehen und auch – denn das ist die Rolle von Eltern und Lehrkräften – diese an die Kinder auf geeignete Weise vermitteln zu können
 

Welche Risiken müssen wir beim Datenschutz berücksichtigen?

Gergana Vladova: Das ist und bleibt ein sehr wichtiges Thema beim Umgang mit allen Technologien. Personenbezogene Daten sollten besonders gut geschützt werden und dafür sollten alle – Eltern, Lehrkräfte und Lernende – sensibilisiert werden. Und eine entsprechend sichere Umgebung muss dafür vorhanden sein.

Sofia Schöbel: Nutzenden muss verdeutlicht werden, dass ChatGPT mit ihren Eingaben lernt. Eine Aufklärung hierüber erfolgt bereits. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass nicht alle eingegebenen Daten korrekt sind und somit besteht die Gefahr, dass falsche oder auch private Daten wieder in das Tool einfließen.

Diana Knodel: ChatGPT von der Firma OpenAI ist in deutschen Schulen nicht erlaubt. Daher braucht es andere Lösungen, die Anfragen anonymisieren und darauf achten, dass keine personenbezogenen Daten für die Nutzung nötig sind. Genau das machen wir mit unseren fobizz-Lösungen – immer in engem Austausch mit Datenschutzexpert:innen.
 

Wie müssen wir ChatGPT im Kontext der Krise im Bildungssystem und des Lehrermangels betrachten?

Diana Knodel: Eine KI kann sicherlich keine Lehrkräfte ersetzen. Aber eine KI kann Lehrkräfte entlasten und sie bei administrativen und organisatorischen Aufgaben unterstützen. Insofern kann die KI durchaus eine wichtige Rolle spielen im Hinblick auf Lehrermangel. Dennoch möchten wir betonen, dass die menschliche Interaktion und der persönliche Kontakt im Lernprozess unersetzlich bleiben. Eine ausgewogene Integration von Technologie und menschlicher Betreuung ist entscheidend, um die bestmögliche Bildungserfahrung für Schüler:innen zu gewährleisten.

Sofia Schöbel: ChatGPT kann eine Ergänzung in der Lehre darstellen, wird aber keine Lehrkräfte ersetzen. Es ermöglicht eine individuellere Gestaltung von Lernen und Lehren, womit Lehrkräfte sich individueller auf ihre Schüler:innern und Studierenden einstellen können.

Gergana Vladova: Wie in vielen anderen Berufen und Anwendungsbereichen können und sollten wir die Vorteile der KI nutzen, um eine Unterstützung zu bekommen und mehr Individualisierung in überfüllten Klassen zu ermöglichen. Hierzu ist aber eine Verlagerung der Kompetenzen von Lehrenden sehr wichtig, damit die Technologie richtig eingesetzt werden kann und vor allem Ängste abgebaut werden können. Und auch wenn noch bessere Technologien entwickelt werden, dürfen wir nicht vergessen, dass Kinder ihre Lehrer:innen nicht nur als eine Wissensquelle sehen und die Schule nicht nur als Lernort, sondern dort auch sozialisiert werden und lernen, mit Situationen, sozialen Herausforderungen und Gleichaltrigen umzugehen. Dafür brauchen sie menschliche Vorbilder und Wegweiser.  

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Diana Knodel ist Gründerin und CEO der fobizz GmbH. Eine Plattform für Weiterbildungen und Anbieter von digitalen Tools und KI für Lehrkräfte und Schulen.

Sofia Schöbel ist Fachgebietsleiterin Wirtschaftsinformatik an der Universität Osnabrück.

Gergana Vladova leitet die Forschungsgruppen „Bildung für die digitale Welt“ am Weizenbaum-Institut.

Alle drei waren Teil des Weizenbaum Forums im Juni 2023 zum Thema „Die Bildung der Zukunft: ChatGPT – gekommen, um zu bleiben?“, das es bald als Podcast zum Nachhören gibt.

Das Interview führte Leonie Dorn.

Die Reihe künstlich&intelligent? setzt sich in Interviews und Beiträgen mit den neusten Anwendungen von generativen Sprachmodellen und Bildgeneratoren auseinander. Forschende am Weizenbaum Institut gehen dabei auf die gesellschaftlichen Auswirkungen der Tools ein und begegnen den viel diskutierten Erwartungen und Ängsten mit aktuellen Studien und Forschungsergebnissen. Dabei wird auch der Begriff „Künstliche Intelligenz“ hinterfragt und im Geiste Joseph Weizenbaums die Allwissenheit und Macht dieser Systeme dekonstruiert. Der KI-Pionier und Kritiker, der einen der ersten Chatbots entwickelte, hätte dieses Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert.