de / en

Über das neue fundamental "Digitale Demokratie"

Soziale Medien stehen immer wieder in der Kritik, wenn es um Meinungsbildung geht. Das fundamental "Digitale Demokratie" von Merja Mahrt klärt übersichtlich und verständlich über die Mechanismen von sozialen Medien bei Auswahl und Verbreitung von Content auf. Wir haben mit ihr darüber gesprochen.

Facebook, TikTok, X/Twitter und YouTube stehen immer wieder in der Kritik, wenn es um Meinungsbildung geht. Sie würden Fake News verbreiten, durch ihre Algorithmen Radikalisierung fördern oder Nutzer:innen von Menschen mit anderen Meinungen abkapseln. Angesichts dieser unterschiedlichen Vorwürfe erläutert das „fundamental“ die Mechanismen von sozialen Medien bei Auswahl und Verbreitung von Content. Es zeigt außerdem, was wissenschaftliche Studien über den Einfluss sozialer Medien auf Nutzungsweisen und Wirkungen auf Seiten der User:innen herausgefunden haben. 

Wenn es um soziale Medien geht, fallen immer wieder Begriffe wie „Echokammern“ und „Filterblasen“, die eine demokratische Meinungsbildung unterminieren. Was sagt die Forschung dazu?

Merja Mahrt (MM): Das sind eigentlich unterschiedliche Phänomene, die aber beide beschreiben, dass sich verschiedene Meinungslager immer weiter voneinander entfernen. Bei den Echokammern geht es eher darum, mit wem man sich z.B. in sozialen Medien vernetzt und dann gegenseitig Inhalte teilt oder eben im Feed sieht, was die eigenen Kontakte gepostet haben. Wenn das sehr einseitig ausfällt, würde man nur das Echo der eigenen Meinung wahrnehmen. Filterblasen beziehen sich dagegen auf die Algorithmen, die bestimmen, was in so einem Feed oder auch in Videoempfehlungen auf YouTube usw. angezeigt wird. Hierbei kann ich als Nutzerin nicht wissen, ob anderen Leuten vielleicht ganz andere Dinge empfohlen werden, sodass ich sozusagen in meiner eigenen Blase voller für mich gefilterter Inhalte stecke.

Und sind Nutzerinnen und Nutzer nun in Filterblasen oder Echokammern?

MM: Die meisten Leute sind das nicht. Sowohl die Vernetzung mit anderen Nutzerinnen und Nutzern als auch der Content, den die Leute sehen, wird durch soziale Medien eher vielfältiger. Außerdem haben die meisten Menschen in ihrem täglichen Medienmenü noch eine Reihe von anderen Quellen, sodass ihr Horizont viel breiter ist, als die Metaphern von den Kammern oder Blasen nahelegen. Im „fundamental“ habe ich diese Forschung genauer erklärt, die eben zeigt, dass die Befürchtungen zum großen Teil übertrieben sind. Ich gehe da aber auch darauf ein, dass man, wenn man möchte, natürlich soziale Medien sehr einseitig nutzen kann. Man kann sich nur mit Gleichgesinnten vernetzen und nur einseitige Kanäle abonnieren, Posts liken usw. Dann hat das schon etwas von Abkapselung. Das ist aber nicht das typische Nutzungsverhalten.

Du arbeitest ja schon länger zu dem Thema. Wie bist Du darauf gekommen? Was hat sich in den letzten Jahren geändert?

MM: Ganz am Anfang wollte ich eigentlich wissen, was passiert, wenn man nicht mehr linear fernsieht, also während der Ausstrahlung des Programms auf dem Fernseher, sondern stattdessen Netflix guckt. Da hat man ja viel mehr Auswahl und kann sich genau das zusammenstellen, was einen interessiert, vielleicht guckt das aber im eigenen Bekanntenkreis kaum jemand anderes. Und ungefähr zu der Zeit ist das Buch von Eli Pariser zu Filterblasen erschienen. Es war sehr erfolgreich, und das Thema war auf einmal an vielen Stellen relevant. Dadurch hat sich dann verschoben, worauf ich mich in meinem Projekt am Ende konzentriert habe, weil sich auch für mich neue Fragen ergeben haben. Geändert hat sich dann eigentlich vor allem, welche Metapher gerade am bekanntesten ist. Neu kam vor ein paar Jahren z.B. noch der virtuelle Kaninchenbau dazu, in den im Roman Alice fällt und im Wunderland landet. Aber die Filterblasen sind schon der Dauerbrenner.

Du hast gerade eine Forschungssynthese veröffentlicht - hast Du dabei auch selbst etwas Neues gelernt?

MM: Das Thema liegt ja sehr nah an dem Forschungsfeld, in dem ich selbst seit über zehn Jahren arbeite. Da bin ich also ziemlich tief drin und habe dann eher für einzelne Aspekte recherchiert, was sich zuletzt in Studien ergeben hat oder was auch die neuesten Überblicksarbeiten zeigen. Eine richtige Überraschung war für mich nicht dabei. Aber es ist eine Gelegenheit, Antworten auf ganz viele Fragen zu geben, die mir immer wieder gestellt werden, nämlich zu Filterblasen und Echokammern, aber auch z.B. zu Bots oder Fake News. Daraus ist die Idee der Steckbriefe entstanden, die zu jedem dieser Begriffe knapp zusammenfassen, was das eigentlich ist, welche Wirkungen auf die Meinungsbildung die Forschung nachgewiesen hat (und welche auch nicht) und was man bei Bedarf dagegen tun kann.

Deine Forschungssynthese ist als Scrollytelling aufbereitet. Was hat Dich zu diesem in der Wissenschaftskommunikation doch eher ungewöhnlichen Format motiviert? Was erhoffst Du Dir davon? Was sind die Vor- und Nachteile dieses Formats?

MM: Das Format der „fundamentals“ haben Esther Görnemann und ich zusammen entwickelt. Mit Blick auf nicht-wissenschaftliche Zielgruppen ging es uns darum, die Formate des Weizenbaum-Instituts zu ergänzen. Am Ende war die Herausforderung, einen knappen Überblick zu geben, in dem aber alles Wichtige verständlich erklärt wird, und dann Vertiefungsangebote zu machen. Ich hoffe, dass diese Form zum Lesen motiviert und man sich auch mit Dingen beschäftigt, die man vielleicht so noch nicht auf dem Schirm hatte.

Wie geht es weiter?

MM: Erst mal bin ich natürlich wie Esther gespannt auf die Rückmeldungen zu den ersten beiden „fundamentals“. Wir wollen das Format ja fortführen, und dafür haben wir schon verschiedene Ideen. Vielleicht kommen unsere Leserinnen und Leser ja aber noch auf ganz andere.

Ansonsten geht es für mich jetzt erstmal mit einem anderen Format der Wissenschaftsvermittlung weiter, einer Broschüre mit der Berliner Landeszentrale für politische Bildung. Da ist 2022 das erste Heft zu Demokratie und Digitalisierung erschienen. Bald kommt das zweite raus, und ich schreibe das dritte. Und das Thema Filterblasen und Polarisierung der Gesellschaft ist weiterhin sehr aktuell, sodass ich bei verschiedenen Veranstaltungen dazu vortrage und auf Podien sitze. Ab jetzt kann ich dann ja immer auf das „fundamental“ verweisen.

Zum fundamental Digitale Demokratie