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Kreativität in der Schule: Ein Plädoyer für die richtige Balance zwischen Technologie und traditionellem Lernen

Unsere Blogreihe „Citizen-Science-Dialog über Bildung für die digitale Welt“ gibt Einblicke zu digitaler Bildung im internationalen Vergleich. In Teil 2 spricht Jennifer Haase über Kreativität im Digitalen.

Digitale Bildung und die Digitalisierung von Schulen sind eine der größten Herausforderungen der vernetzen Gesellschaft. Gergana Vladova und Doris Hellmuth forschen am Weizenbaum-Institut in der Forschungsgruppe „Bildung für die digitale Welt“ genau dazu. In ihrer Arbeit stehen sie immer wieder in Kontakt mit Akteur:innen aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Dieser Austausch mit Partner:innen außerhalb der Wissenschaft nennt sich Citizen Science. In ihrer Blogreihe „Citizen-Science-Dialog über Bildung für die digitale Welt“ berichten und diskutieren sie darüber, was eine Digitalisierung der Bildung konkret bedeutet und wie digitale Kompetenzen erlernt werden können - ob in Maker Spaces oder deutschen Auslandschulen. Teil 1 führte uns zu einer deutschen Auslandsschule im Silicon Valley.

In Teil 2 spricht WI-Forscherin Jennifer Haase mit Doris Hellmuth über Kreativität durch und mit digitalen Technologien. Denn der Vergleich der Beispiele USA und Deutschland zeigt, dass es beim Technikeinsatz immer um einen sinnhaften Einbezug in Anbetracht von Alter, Lernziel und „analogen Entwicklungsstand“ geht. Das bloße Anbieten von Technik und das „daddeln“ damit, macht noch keinen kreativer.

 


 

Doris: Liebe Jennifer, Du forschst intensiv zum Thema Kreativität, warst auch Teil der Gruppe Bildung und Weiterbildung in der digitalen Welt, sodass auch der schulische Kontext in Deiner Forschung eine Rolle spielt. Wie würdest Du jemandem, der/die noch keine Brührungen mit diesem Thema hatte, erklären, was genau Kreativität ist?

Jennifer: Wenn wir von Kreativität sprechen, meinen wir die Schaffung von etwas Neuem und Nützlichem. Das bedeutet, wir sind in der Lage, einen Mehrwert in einer bestimmten Situation zu erzeugen. Je nach Kontext kann sich dies auf verschiedenen Ebenen äußern, von kleinen, alltäglichen kreativen Handlungen bis hin zu großen Innovationen, die die Gesellschaft als Ganzes beeinflussen.

Im Schulunterricht liegt der Fokus besonders auf der Alltagskreativität. Diese äußert sich in der Sprachanwendung, der kreativen Gestaltung mit verschiedenen Materialien und natürlich in der Problemlösung, wie wir sie aus Mathematikaufgaben kennen. Wann immer Kinder "um die Ecke denken", improvisieren und neue Dinge ausprobieren, sprechen wir von Kreativität.

Aber Kreativität ist kein Muskel, den man einfach so trainieren kann. Sie entsteht situativ und ist das Ergebnis einer Kombination aus vorhandenem Wissen, freien Assoziationen und vor allem der individuellen Motivation, sich einer kreativen Herausforderung zu stellen. Es ist daher entscheidend, Kinder zu ermutigen, in möglichst vielen verschiedenen Kontexten kreativ zu sein und ihnen konstruktives Feedback zu geben, um ihr Selbstwirksamkeit zu stärken.

Doris: Das klingt für mich so, als könnten die Digitalisierung und die Möglichkeit z.B. virtuelle Realitäten zu erleben eine wichtige Rolle in der Kreativitätsförderung spielen?

Jennifer: Technologie ist ein Werkzeug, genauso wie Papier, Stifte oder Sand. Jedes dieser Medien hat seine eigenen Möglichkeiten und Grenzen. Technologie zum Beispiel kann unsere Aufmerksamkeit fokussieren und uns helfen, komplexe Probleme zu visualisieren und zu lösen.

Aber die Technologie hat auch ihre Tücken. Studien haben gezeigt, dass das reine Betrachten eines Bildschirms die Kreativität beeinträchtigen kann, indem es unseren "Gedankenraum" einschränkt. Übermäßiger Fokus auf den Bildschirm kann zu einem Verlust der Aufmerksamkeit für die Umgebung führen. Dies kann besonders problematisch für Kinder sein, die ihre Aufmerksamkeit noch nicht vollständig kontrollieren können.

Darüber hinaus kann die Verwendung von Technologie im Schulunterricht, das haptische Lernen und die Erfahrung von Frust und Scheitern - wichtige Bestandteile des kreativen Prozesses - reduzieren. Zum Beispiel kann eine Mal-App Spaß machen und viele Möglichkeiten bieten, aber sie kann nicht die Erfahrung von Farbe auf Papier oder die Herausforderung, ein Bild ohne "Zurück"-Knopf zu erstellen, ersetzen.

Daher sollten wir Technologie in der Grundschulbildung bewusst und kritisch einsetzen. Sie kann einen Mehrwert bieten, wenn sie uns ermöglicht, Dinge zu tun, die in der realen Welt schwierig oder unmöglich wären, wie das Bauen und Testen komplexer physikalischer Systeme oder das Erlernen von Programmierung. Aber insbesondere bei jüngeren Kindern sollte der Schwerpunkt auf Vielfalt in Bewegung, sozialer Interaktion und freiem Spiel liegen. Technologie sollte erst dann verstärkt eingesetzt werden, wenn grundlegende Fertigkeiten etabliert sind und die Kinder bereit sind, ihr Lernen auf die digitale Ebene zu erweitern.

Abschließend bietet Technologie zweifelsohne eine schier endlose Palette an Möglichkeiten für Lernprozesse und die Entwicklung kreativer Fähigkeiten. Die jüngsten Fortschritte in generativen KI-Systemen - sowohl visuell als auch textbasiert, wie etwa ChatGPT und Midjourney - eröffnen gänzlich neue Horizonte für kreative Interaktionen.

Wenn ältere Kinder schrittweise an diese Systeme herangeführt werden, unter Berücksichtigung einer fundierten Erklärung ihrer Funktionsweise sowie ihrer Grenzen und "Inkompetenzen", können diese Systeme effektiv zur Stimulierung eigener kreativer Ideen eingesetzt werden. In meinen eigenen Experimenten konnte ich beispielsweise zeigen, dass Chatbots auf der Ebene der Alltagskreativität ebenso kreativ (oder eben nicht) sind wie Erwachsene. Das macht Chatbots zu idealen Sparringspartnern für den Austausch von Ideen und zur Stimulation von Inspiration, wenn gerade kein Klassenkamerad oder Freund zur Verfügung steht, um den kreativen Prozess zu unterstützen.

Insofern steckt ein enormes Potenzial in einer schrittweisen und sinnvollen Implementierung digitaler Technologien zur Förderung und Erweiterung individueller kreativer Fähigkeiten. Wie bei allem anderen ist jedoch ein ausgewogener und bedachter Ansatz vonnöten, um sicherzustellen, dass unsere Kinder das Optimum aus beiden Welten - der digitalen und der nicht-digitalen - ausschöpfen können.

 

Dr. Jennifer Haase ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Sicherheit und Transparenz digitaler Prozesse. Mehr zu ihrer aktuellen Forschung finden sich hier: https://scholar.google.com/citations?user=kM8IYxQAAAAJ&hl=de