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Einblicke in die Utrecht Data School

Im September 2021 war Bennet Etsiwah, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe „Datenbasierte Geschäftsmodellinnovationen“, als Visiting Researcher an der Utrecht Data School (UDS). Was es mit dieser niederländischen Datenschule auf sich hat und welche nachhaltigen Eindrücke er dort gesammelt hat, stellt er im nachfolgenden Bericht dar.

Seit 2020 ist unsere Forschungsgruppe „Datenbasierte Geschäftsmodellinnovationen“ im Austausch mit der UDS. Damals war Projektleiter Dr. Mirko Schäfer zu Gast in unserer Podcast-Reihe Voices for the Networked Society und stellte unter anderem die Arbeit der Datenschule vor. Im Gespräch mit unserer Podcast-Moderatorin Ana Burgueño Hopf wurden sehr schnell inhaltliche Überschneidungen mit unserer Forschungsgruppe deutlich – vor allem im Hinblick auf Themen wie Datafizierung und Datenkompetenz. Spannend daran war besonders der Perspektivwechsel: Während unsere Forschungsgruppe diese Themen vor allem in unternehmerischen Kontexten reflektiert, ist die Perspektive der UDS geprägt von einer stark medienwissenschaftlichen Sichtweise.

Unternehmerische Forschung als Paradigma

Diese Perspektive spiegelt sich auch in den Strukturen der Datenschule wider, denn angesiedelt ist das Projekt im Department for Media and Culture Studies an der Universität Utrecht. In einer Reihe von Projekten und über unterschiedliche Departments hinweg, widmen sich die Mitarbeitenden der UDS der Ausbildung von Studierenden und Praktiker:innen im Umgang mit digitalen Methoden und befähigen sie zu kritischen Datenanalysen. Neben der klassischen Lehre legt die Datenschule dabei einen besonderen Schwerpunkt auf angewandte Forschungsprojekte mit externen Partnerinstitutionen – der sogenannten unternehmerischen Forschung. Das dahinterstehende Konzept wird ausführlich beschrieben in Schäfer & van Schie (2019). Ein wichtiger Grundstein der unternehmerischen Forschung ist, dass die Finanzierung der UDS und die Ausbildung von Studierenden vor allem im Rahmen angewandter Forschungsaufträge stattfinden. Dafür werden gemeinsam mit Akteuren aus der Praxis mögliche Datenprojekte in ihren jeweiligen Organisationen identifiziert und Fragestellungen entworfen, die in der Folge von studentischen Projektgruppen bearbeitet werden. Auf Grundlage dieses Modells kamen bereits Projekte mit unterschiedlichen Partnern zustande. Dazu zählen bisher vor allem niederländische Ministerien, Kommunen und andere Organisationen der öffentlichen Verwaltung – aber auch Unternehmen und NGOs. Ein zweiter Grundstein der unternehmerischen Forschung an der UDS ist, dass sie auf Grundlage eigens entwickelter Angebote und Werkzeuge erfolgt. Eines dieser Werkzeuge, mit dem ich auch persönlich vor Ort Erfahrungen sammeln konnte, ist DEDA (Data Ethics Decision Aid).

DEDA-Canvas

DEDA – Datenethik im Workshop-Format

Hinter DEDA verbirgt sich ein ausführlicher Canvas, der in moderierten Workshops zum Einsatz kommt, um Datenprojekte wie z.B. Chatbots hinsichtlich ihrer ethischen und gesellschaftlichen Implikationen zu analysieren (s. Franzke et al., 2021). Das Tool ist dialogbasiert und leitet interdisziplinäre Gruppen von 6-8 Teilnehmenden zielgerichtet zur Diskussion ihrer eigenen Datenprojekte an. Dabei werden nicht nur technische Aspekte reflektiert, sondern auch Fragen zu Verantwortung, Transparenz, Privatsphäre und möglichen Verzerrungen gestellt und gemeinsam bearbeitet. Beeindruckend an DEDA ist, dass Teilnehmer:innen aus dem Forschungsfeld damit in wenigen Stunden ihr Datenprojekt evaluieren können. Gleichzeitig kann das Tool aber auch als Forschungswerkzeug benutzt werden, z.B. zur Generierung von Forschungsdaten über die Teilnehmenden oder die analysierten Projekte. Für externe Wissenschaftler:innen bietet die Datenschule Train-the-Trainer-Formate an, sie im Umgang mit DEDA zu qualifizieren. Außerdem gewährt die UDS eine kostenfreie Nutzung von DEDA in nicht-kommerziellen Kontexten.

Workshop an der Utrecht Data School

Selbsterfahrung durch Intervention

Auch im Austausch innerhalb des eigenen Departments kommen praktische Ansätze zum Tragen: Während meines Besuchs an der UDS veranstalteten die Wissenschaftler:innen Karin van Es und Tim de Winkel einen Hands-On-Workshop, um die Corona-Politik der eigenen Hochschule zu diskutieren. Im Zentrum der Debatte standen Richtwerte für potenziell gesundheitsschädliche CO2-Konzetrationen in der Atemluft von Veranstaltungsräumen, die als Proxy für die Menge von Coronaviren dienen. Angeleitet von einem Mitarbeiter der Initiative Creative Coding Utrecht, entwickelten die Teilnehmenden auf Basis von Arduinos und CO2-Sensoren einfache Messstationen und diskutierten anschließend mögliche Forschungsfragen und -designs, in denen diese Tools und ihre Messungen eine zentrale Rolle einnehmen könnten. Die Ergebnisse dieser Diskussion, darunter auch mein Beitrag zum Thema Data Walks, wurden hier publiziert.

Praxisnahe Medienwissenschaft

Die zwei Wochen in Utrecht haben es mir erlaubt neue, spannende Formate und vor allem auch die vielen Menschen dahinter kennenzulernen, bei denen ich mich an dieser Stelle sehr herzlich bedanken möchte. Die in der UDS und ihrem Umfeld entwickelten Forschungs- und Austauschformate demonstrieren meines Erachtens nach eindrücklich die Relevanz und unmittelbare Anwendbarkeit von geistes- und sozialwissenschaftlichen Positionen im Digitalisierungs- und Datafizierungsdiskurs. Beeindruckend ist auch, wie die UDS mit ihren Angeboten die Schnittstelle von Wissenschaft und Gesellschaft kuratiert. Statt auf nachgelagerten Transfer zu setzen, erlauben praxisnahe Bildungs- und Forschungsformate eine direkte Interaktion und wechselseitige Lernerfahrungen im Feld. Damit einher gehen nicht zuletzt auch Fragen zu geeigneten Forschungsparadigmen in der Digitalisierungsforschung, die vielfach auch inter- und transdisziplinäre Problemstellungen adressieren.


Literatur:

 

Franzke, A.S., Muis, I., Schäfer, M.T., 2021. Data Ethics Decision Aid (DEDA): a dialogical framework for ethical inquiry of AI and data projects in the Netherlands. Ethics Inf Technol. https://doi.org/10.1007/s10676-020-09577-5

Schäfer, M.T., van Schie, G., 2019. Utrecht Data School. Eine unternehmerische Plattform für Unterricht und angewandte Forschung im Bereich der Datafizierung. ZPol Zeitschrift für Politikwissenschaft 29, 123–140. https://doi.org/10.1007/s41358-018-0166-8

Schäfer, M.T., Franzke, A., 2020. DEDA Handbook - Assessing ethical issues with regard to governmental data projects. https://dataschool.nl/wp-content/uploads/sites/272/2020/06/DEDA-Handbook-ENG-V3.1-1.pdf