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Digitale Sequenzinformation: Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Innovation unter dem Brennglas

Das Sammeln und Speichern von Gendaten ist für die Erhaltung der weltweiten Artenvielfalt von großer Bedeutung. Erfasst und genutzt werden die Daten aber vielfach mit dem Interesse, sie etwa für die Entwicklung neuer Medikamente nutzbar zu machen, mit denen sich viel Geld verdienen lässt. Doch wem gehören diese Daten, und unter welchen Bedingungen können sie genutzt werden? Darüber wurde auf der UN-Biodiversitätskonferenz diskutiert, die im Dezember 2022 in Montreal stattfand.

Die Juristin Irma Klünker, assoziierte Forscherin in der Forschungsgruppe „Normsetzung und Entscheidungsverfahren“ am Weizenbaum-Institut und Doktorandin an der Humboldt-Universität zu Berlin, war bei den Verhandlungen in Montreal vor Ort und hat kürzlich ein Policy Paper zum Thema „Open and Responsible Data Governance for Digital Sequence Information“ für das Weizenbaum-Institut verfasst. Im Interview spricht sie über die Ergebnisse der Konferenz sowie die Rolle genetischer Daten für die Biodiversität und erörtert, was es bei der Umsetzung der Beschlüsse zu beachten gilt.

Ende 2022 wurde auf der UN-Biodiversitätskonferenz in Montreal eine neue globale Vereinbarung für biologische Vielfalt geschlossen. Wie bewerten Sie das Ergebnis der Verhandlungen?

Ein gemeinsames Handeln der Weltgemeinschaft ist dringend notwendig, um die Biodiversität als unsere Lebensgrundlage zu erhalten. Die Vereinbarung von Montreal lässt aus drei Gründen etwas hoffnungsvoller in die Zukunft blicken. Das Ziel, 30 Prozent der Land- und Meeresfläche bis 2030 zu schützen, ist ein wichtiger Schritt für den Biodiversitätsschutz. Zweitens ist eine positive Entwicklung bei der Beachtung der Rechte von indigenen und lokalen Gemeinschaften und ihrem Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt zu beobachten. Drittens sind die Vereinbarungen zur Speicherung genetischer Daten (Digital Sequence Information) weitreichender, als dies Beobachter*innen vorher erwartet hatten – und zwar auch, weil sich die Staaten des globalen Südens und des globalen Nordens wesentlich annähern konnten.

Das macht Hoffnung, denn wie das Klima kann die Biodiversität nur durch gemeinsames Handeln der Weltgemeinschaft geschützt werden. Wie bei allen internationalen Vereinbarungen, etwa auch im Klimaschutz, wird aber erst die Zukunft zeigen, wie die Ziele umgesetzt werden und ob es der Weltgemeinschaft gelingt, das rapide Artensterben aufzuhalten.

Welche Rolle spielt Digital Sequence Information (DSI) für die globale Biodiversität, und welche Positionen trafen bei den Verhandlungen aufeinander?

Digital Sequence Information hat eine praktische und eine politische Bedeutung für die Erhaltung der Biodiversität. Digital Sequence Information meint, grob gesagt, die Daten, die aus genetischen Ressourcen wie etwa Pflanzen gewonnen werden können, insbesondere die DNA-Sequenzdaten. Diese bilden die genetische Vielfalt ab, und daher ist es für die Biodiversitätsforschung insgesamt wichtig, sie zu erforschen. Denn heute kennen wir noch nicht ansatzweise alle Arten der Erde und können daher noch nicht einmal das genaue Ausmaß und die konkreten Auswirkungen einschätzen, die das große Artensterben mit sich bringen wird.

Gleichzeitig sind diese Daten auch für Innovationen im Biotech-Bereich unverzichtbar. Sie werden etwa bei der Entwicklung von Impfstoffen, wie zuletzt gegen Coronaviren, genutzt. Mit ihnen könnten aber etwa auch neue Pflanzensorten entwickelt werden, die dem Klimawandel besser standhalten und damit die Ernährungssicherheit sichern könnten. Daneben hat Digital Sequence Information aber auch seit Jahren eine politische Dimension und ist in Montreal fast zu einem Dealbreaker der gesamten Vereinbarung geworden. Denn damit ist ein komplexer globaler Konflikt verbunden: Einerseits liegen die besonders biodiversitätsreichen Staaten der Erde im globalen Süden.

Auf der anderen Seite nutzt der globale Norden genetische Ressourcen und Daten für ökonomische Wertschöpfung, etwa um Medikamente zu entwickeln oder Kosmetika. Die Staaten haben seit Jahren diskutiert, ob eine Art Ausgleich gezahlt werden muss, wenn Daten aus diesen genetischen Ressourcen genutzt werden. Diesen Vorteilsausgleich, das sogenannte Benefit-Sharing, gibt es bereits bei genetischen Ressourcen, etwa von Pflanzen. Vorteile können zum Beispiel eine Gewinnbeteiligung sein, aber auch Technologietransfer.

Die Frage war nun, ob dieser Vorteilsausgleich auch bei den Daten aus den genetischen Ressourcen stattfinden soll. Es geht bei dem Thema also um Fairness und Gerechtigkeit zwischen globalem Süden und Norden in der Ressourcennutzung im Allgemeinen – und insbesondere in der Frage, wie die Erhaltung der Biodiversität finanziert werden sollte. Dass sich die Staaten nun trotz dieser Konfliktlage auf einen Vorteilsausgleich  bei der Nutzung von Digital Sequence Information einigen konnten, ist daher ein sehr wichtiger Meilenstein für die Erhaltung der Biodiversität.

Was verändert das Abkommen im Hinblick auf Digital Sequence Information, und was sollte bei der Umsetzung beachtet werden?

Das entscheidende Ergebnis der Verhandlungen ist, dass für Digital Sequence Information ein eigener Mechanismus entwickelt werden soll, nach dem die Vorteile aus der Nutzung geteilt werden. Wie dieser aussehen soll, ist aber noch völlig offen. Der nächste Schritt wird daher eine globale Verständigung auf einen konkreten Mechanismus sein.

Wichtig ist dabei, dass eine Daten-Governance für Digital Sequence Information gestaltet wird, die ausgewogen und gerecht ist, die Rechte indigener und lokaler Gruppen beachtet und gleichzeitig für Forschung und Entwicklung umsetzbar ist. Nur so können Gelder aus der Nutzung der Daten generiert werden, die dann in die Erhaltung der Biodiversität investiert werden können. Dafür haben Forschende aus unterschiedlichen Disziplinen und das International Indigenous Forum on Biodiversity das Konzept der Open and Responsible Data Governance entwickelt.

In meinem kürzlich erschienenen Policy Paper lege ich dar, wie die Grundlinien einer solchen Daten-Governance aussehen könnten. Aus meiner Sicht sollte dabei an bereits bestehende Prinzipien aus der Wissenschafts-Community angeknüpft werden, die dazu anhalten, Forschungsdaten zur freien Nutzung zur Verfügung zu stellen. Dabei handelt es sich um die so genannten FAIR-Prinzipien, nach denen Daten Findable (auffindbar), Accessible (zugänglich), Interoperable (interoperabel) und Reusable (wiederverwendbar) sein sollen.

Diese Prinzipien haben auch Einzug in das EU-Recht gefunden und sollen helfen, Daten öffentlich zugänglich für alle zu machen, um wissenschaftliche Erkenntnisse und Innovationen zu ermöglichen. In einem weiteren Policy Paper argumentiere ich daher, dass offene Daten notwendig sind, um überhaupt Vorteile aus deren Nutzung  zu generieren, die dann wiederum in die Erhaltung der Biodiversität investiert werden können.

Gleichzeitig ist nach diesen von der Wissenschafts-Community entwickelten Prinzipien und der derzeitigen Datenbankinfrastruktur kein Benefit-Sharing möglich. Der neue Mechanismus für den Umgang mit Gendaten sollte zwar das Open-Data-Prinzip erhalten, aber er muss gleichzeitig auch verantwortungsvoll ausgestaltet sein (Open and Responsible Data Governance) und die Rechte indigener und lokaler Gemeinschaften an ihren genetischen Ressourcen berücksichtigen. Dafür wurden die sogenannten CARE-Prinzipien entwickelt. CARE steht für Collective Benefit (kollektiver Nutzen), Authority to Control (Kontrolle über die Daten), Responsibility (Verantwortungsbewusstsein) und Ethics (Ethik).

In den kommenden Verhandlungen muss also ein Mechanismus gefunden werden, der FAIR- und CARE-Prinzipien miteinander vereint und so zur Erhaltung der Biodiversität beiträgt.

Die Frage nach Access and Benefit-Sharing von digitaler Sequenzinformation aus genetischen Ressourcen beschäftigt Sie auch in Ihrer Dissertation. Was motiviert Sie, an diesem Thema zu forschen?

Das Thema ist für mich unglaublich spannend, weil es Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Innovation zusammen verhandelt. Diese Themen beschäftigen uns als Gesellschaft gerade überall in verschiedenen Facetten, und beim Thema Digital Sequence Information erscheinen sie wie unter einem Brennglas. Als Forscherin gibt mir das Thema die Möglichkeit, grundlegende eigentumsrechtliche Fragen in einer globalen und vernetzten Gesellschaft neu zu beleuchten. Dahinter steht das Ziel der Erhaltung der Biodiversität, und das motiviert mich besonders.

Irma Klünker ist assoziierte Forscherin in der Forschungsgruppe „Normsetzung und Entscheidungsverfahren“ am Weizenbaum-Institut. Sie ist Doktorandin an der Humboldt-Universität zu Berlin, an der sie zuvor auch Rechtswissenschaft mit dem Schwerpunkt Immaterialgüterrecht studierte. Aktuell studiert sie auch Bioinformatik an der Freien Universität Berlin. Ihre Dissertation schreibt sie zum Access and Benefit-Sharing von digitaler Sequenzinformation aus genetischen Ressourcen. Ein weiteres Forschungsinteresse sind Innovationen im Bereich der Biotechnologie, insbesondere Patente und Open Data.

Das Interview führte Moritz Buchner.