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Clickbait or conspiracy? How Twitter users address the epistemic uncertainty of a controversial preprint

In einem neuen Beitrag in der Zeitschrift „Big Data & Society“ beleuchten Mareike Fenja Bauer, Maximilian Heimstädt, Carlos Franzreb und Sonja Schimmler die komplizierten Zusammenhänge zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Verschwörungstheorien im Internet.

Unsicherheit ist elementarer Bestandteil von Wissenschaft. Neue Forschungsergebnisse werden publiziert, bisher gesichertes Wissen wird in Frage gestellt und einschlagende Technologien und Methoden verändern die Forschungswelt.

Durch das fehlende Peer-Review, welches den wissenschaftlichen Gehalt eines Papers sichert, gelten Preprints als wissenschaftlich ungesichert. Dennoch sind diese „unfertigen“ wissenschaftlichen Erkenntnisse von zentraler Bedeutung für die Wissenschaft – das wurde vor allem durch die COVID-19-Pandemie deutlich. Durch Preprints werden aktuelle Forschungsergebnisse schnell zugänglich gemacht, ohne einen oftmals langwierigen Peer-Review-Prozess zu durchlaufen.

Das Teilen von Preprints auf Social-Media-Plattformen wie Twitter, hat für Wissenschaftler:innen viele Vorteile (z. B. erhöhte Wahrscheinlichkeit für Zitationen). So wird nicht nur die wissenschaftliche Fachcommunity, sondern auch eine breite Öffentlichkeit erreicht. In dieser Studie wird ein unabsichtlicher, aber folgenreicher Effekt des Teilens von Preprints auf Social-Media-Plattformen näher beleuchtet: ihr Beitrag zu Verschwörungserzählungen.

Mittels Sozialer Netzwerkanalyse und qualitativer Inhaltsanalyse betrachten die Autor:innen Mareike Fenja Bauer, Maximilian Heimstädt, Carlos Franzreb und Sonja Schimmler, wie Wissenschaftler:innen und Verschwörungserzählende um die Deutungshoheit eines höchst umstrittenen biomedizinischen Preprints ringen, der im Zuge der Covid-19-Pandemie auf Twitter weite Verbreitung fand. Sie nehmen dabei den unsicheren epistemischen Status von Preprints, welchen sie als charakteristisch für Preprints identifizieren, zum Ausgangspunkt ihrer Analyse. Die methodische Interdisziplinarität ermöglichte es ihnen, sowohl die diskursiven Praktiken von Wissenschaftler:innen und Verschwörungserzählenden als auch die Struktur der Debatte zu untersuchen.

Dabei zeigte sich, dass es den Wissenschaftler:innen trotz erheblicher Involviertheit in die Debatte nicht gelingt, die Begeisterung der Verschwörungserzählenden für den Preprint zu dämpfen.

Der Status der epistemischen Unsicherheit nimmt sowohl bei Wissenschaftler:innen als auch bei Verschwörungserzählenden eine entscheidende Rolle ein: Mitglieder beider Gruppen versuchten nicht nur, die epistemische Unsicherheit des Preprints zu verringern (z. B. durch Widerlegung der Untersuchungsergebnisse seitens der Wissenschaftler:innen oder durch die Einbettung des Preprints in Verschwörungserzählungen als vermeintlich wissenschaftlicher Beleg), sondern sie hielten die epistemische Unsicherheit manchmal sogar bewusst aufrecht. Diese Aufrechterhaltung der epistemischen Unsicherheit half den Verschwörungserzählenden, ihre Gruppenidentität als Skeptiker:innen zu stärken und ermöglichte es zugleich, den Wissenschaftler:innen ihre Besorgnis über den Zustand ihres Berufsstandes zum Ausdruck zu bringen.

Diese Studie schließt damit an die Debatte rund um den Umgang mit Verschwörungserzählungen auf Social-Media-Plattformen an und zeigt, dass es bei dem Versuch, Verschwörungserzählungen einzudämmen nicht reicht, einfach auf „die Wissenschaft“ zu verweisen. „Follow the science“ klingt zwar abstrakt wie ein hilfreiches Gegenmittel, das in der Praxis aber oft schwieriger als gedacht erscheint. Das liegt vor allem daran, dass oftmals interpretationsoffen ist, was eigentlich als „science“ gilt und was nicht.

Damit leistet die Studie einen Beitrag zur Erforschung der komplexen Beziehungen zwischen wissenschaftlichem Wissen und Verschwörungserzählungen im Internet sowie zur Rolle von Social-Media-Plattformen als neues Genre der wissenschaftlichen Kommunikation.

Mehr zu den Autor:innen:

Mareike Fenja Bauer is a PhD researcher at the European New School of Digital Studies / European University Viadriana Frankfurt (Oder) and a former student assistant at the Weizenbaum Institute. Her research focusses on anti-feminism on visual social media platforms.

Dr. Maximilian Heimstädt is research group lead of the research group "Reorganizing Knowledge Practices" at the Weizenbaum Institute. In his research he is interested in "openness" as a practice and design principle of organizations. At the Weizenbaum Institute he is researching new forms of work and organization in science, often referred to as "Open Science".

Carlos Franzreb is a PhD researcher at the German Research Center for Artificial Intelligence and a former student assistant at the Weizenbaum Institute.

Dr. Sonja Schimmler is research group lead of the research group Forschungsgruppe Research Group “Digitalization and Opening up of Science“ at the Weizenbaum Institute. She is also a project manager at Fraunhofer FOKUS and a researcher at the Technical University of Berlin. Her research interests range from data science to software engineering and human-centered computing. Currently, she has a special focus on Open Science and research data infrastructures.