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Bildung für die Digitale Welt. Ein Citizen-Science-Dialog.

Unsere neue Blogreihe im Citizen-Science-Format gibt Einblicke zu digitaler Bildung im internationalen Vergleich. Teil 1 führt uns zu einer deutschen Auslandsschule im Silicon Valley.

Digitale Bildung und die Digitalisierung von Schulen sind eine der größten Herausforderungen der vernetzen Gesellschaft. Gergana Vladova und Doris Hellmuth forschen am Weizenbaum-Institut in der Forschungsgruppe „Bildung für die digitale Welt“ genau dazu. In ihrer Arbeit stehen sie immer wieder in Kontakt mit Akteur:innen aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Dieser Austausch mit Partner:innen außerhalb der Wissenschaft nennt sich Citizen-Science. In ihrer Blogreihe „Citizen-Science-Dialog über Bildung für die digitale Welt“ berichten und diskutieren sie darüber, was eine Digitalisierung der Bildung konkret bedeutet und wie digitale Kompetenzen erlernt werden können - ob in Maker Spaces oder deutschen Auslandschulen.

 


 

Gergana Vladova: Unsere Forschungsgruppe „Bildung für die digitale Welt“ widmet sich seit Jahren den Bildungsprozessen und ihren Veränderungen im Zuge der Digitalisierung. Für unsere Arbeit ist der Austausch mit Akteuren aus der Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik von maßgeblicher Bedeutung. Zum einen, weil unsere Forschung anwendungsorientierte und praxistaugliche Ergebnisse hervorbringen soll. Zum anderen aber auch, weil der Austausch mit der Praxis und die Einbeziehung der Praxisperspektive es uns immer wieder ermöglicht, die Welt ungefiltert durch vorherige Annahmen zu betrachten oder die Forschungsergebnisse um verschiedene Perspektiven zu bereichern. Diese „(...) Beteiligung von Personen an wissenschaftlichen Prozessen, die nicht in diesem Wissenschaftsbereich institutionell gebunden sind“ (Grünbuch Citizen Science Strategie 2020 für Deutschland, pdf, S. 13) hat eine lange Tradition und eine passende begriffliche Beschreibung – Citizen science. Die Möglichkeiten dieser Beteiligung können von „der kurzzeitigen Erhebung von Daten bis hin zu einem intensiven Einsatz von Freizeit bestehen, um sich gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen bzw. Wissenschaftlern und/oder anderen Ehrenamtlichen in ein Forschungsthema zu vertiefen.“ (ebd.)

In dieser Reihe von Blogbeiträgen wollen wir uns mithilfe eines Citizen-Science-Dialogs durch die Welt der digitalen Bildung führen lassen und direkte Einblicke in die Digitalisierung von Schulen gewinnen. Und – damit es noch spannender wird, im internationalen Vergleich.

Doris Hellmuth: Und da kommen wir ins Spiel. Wir, das bin ich, die Schreiberin, Mutter, assoziierte Forscherin am Weizenbaum-Institut und Lehrerin. Und mein 16jähriger Sohn, den wir Alexander nennen wollen, da er seinen Namen nicht so gerne in diesem Kontext lesen möchte. Während meines Sabbaticals in diesem Schuljahr waren wir ein halbes Jahr gemeinsam im englischsprachigen Ausland unterwegs. Während für mich vor allem Leben und Genießen im Vordergrund standen, ging es für Alexander bei den verschiedenen Schulaufenthalten auch um die Verbesserung seiner Englischkenntnisse. Und so haben wir beide viele neue Eindrücke aus den USA, Neuseeland, Australien und dem Deutschen Auslandsschulwesen mitgebracht. Von diesen wollen wir berichten und freuen uns, dass Gergana sich bereiterklärt hat, diese Eindrücke wissenschaftlich zu kommentieren und einzuordnen.  

Mountain View, Kalifornien

Doris: Nach langer Vorbereitung und etwas übernächtig kommen wir Ende August 2022 in unserem Zuhause auf Zeit an, im Silicon Valley, genau genommen in Mountain View. Hier soll Alexander zwei Monate lang auf die German International School gehen, als Teil seines Auslandsaufenthaltes am Anfang der 10. Klasse. Und ich möchte ihn dabei begleiten und versuchen, etwas zu erfahren über das Lernen mit digitalen Medien an der deutschen Auslandsschule im Zentrum der technologischen Entwicklung. Würde hier alles total digital sein und wenn ja, wie könnte das aussehen?

Mountain View fühlt sich an wie ein Vorort und das ist er ja auch, etwas über eine Stunde von Downtown San Francisco entfernt und gerade noch nahe genug dafür, dass Menschen zur Arbeit pendeln können – was viele Angestellte der Tech-Giganten auch tun. Es ist weitläufig, man sieht viele Einfamilienhäuser mit Garten, das tägliche Leben ist eher ruhig und beruhigend analog. Die Menschen sind freundlich und unsere Wohnung gemütlich, so dass wir uns sofort zuhause fühlen.

Die vielen großen Namen in der Nähe sind dagegen schon etwas einschüchternd. In weniger als einer Viertelstunde ist man mit dem Auto am Infinite Loop von Apple, im Google Headquarter und auf dem Silicon Valley Campus von Microsoft. Die NASA hat einen großen Standort hier und auch zur Stanford University sind es nur etwa 20 Minuten. Hier wird ganz offensichtlich an der Digitalisierung der Welt geforscht und gearbeitet.

In den nächsten Wochen werden wir eine ganze Reihe von Menschen kennenlernen, die direkt oder indirekt daran mitarbeiten. Unter anderem arbeiten viele der Deutschen, die ihre Kinder an der German International School haben, in hochspezialisierten Jobs, die es in dieser Form in Deutschland nicht gibt. Vermutlich wird das Auswirkungen auch auf den Unterricht an dieser Schule haben, zumindest stellen wir uns das so vor.

Einschulung im Silicon Valley

Doris: Wir haben in Mountain View eine Woche, um uns vorzubereiten auf den Start in der neuen Schule. Die nutzen wir, um das Nötigste zu kaufen, Block, Stifte und einen dicken Ordner mit Trennblättern. Die Schule informiert bereits auf der Homepage, dass Alexander einen Laptop brauchen wird, aber den wollen wir erst kaufen, wenn wir genauer wissen, was er brauchen würde.

Beim ersten Kennenlernen am Samstag vor dem ersten Schultag wirkt die German International School auf uns ganz schön amerikanisch – einstöckige Gebäude verteilen sich auf einem großzügigen Gelände so, dass die verschiedenen Stufen ihre eigenen Bereiche haben und es trotzdem gemeinsame Höfe gibt. Und der Sportplatz erscheint uns riesig.

Das Stimmgewirr hingegen ist international, die Zuordnung als deutscher oder amerikanische Muttersprachler fällt unerwartet schwer. Offensichtlich wird hier Zweisprachigkeit gelebt. Alexander lernt ein paar seiner neuen Klassenkameraden kennen, ich plaudere mit ein paar Eltern und Alexanders Klassenlehrer. Und wir sehen, dass in jedem Klassenraum, auch bei den Allerkleinsten im Kindergarten, Whiteboards und Nahdistanzbeamer oder auch mal ein SmartBoard zu finden sind.

Dann schauen wir uns noch den Maker’s space an – in Deutschland würde man das den Computerraum nennen, aber hier gibt’s einiges, was da in unseren Augen erst mal nicht hingehört, zum Beispiel ein Skateboard, ein Schachbrett oder ein Lego Roboter.

Zum Schluss bekommt Alexander seinen Stundenplan, auf dem neben den „normalen“ Fächern auch Informatik, Economics und American History zu finden sind.

Im Nachhinein hat sich unsere Vorbereitung als wenig zielführend erweisen, denn den Laptop brauchte Alexander dringend schon ab dem ersten Tag, Schreibzeug und Ordner dagegen eigentlich gar nicht. Zum Glück sind wir dafür ja am richtigen Ort, am ersten Schultag fahren wir also abends nach Palo Alto zum Apple Store. Danach müssen wir nichts mehr für die Schule kaufen, denn die Schulbücher bekommt Alexander ausgeliehen – sie kommen in einen Schrank in der Schule und da bleiben sie dann auch für die Dauer seines Aufenthaltes. Zuhause reicht das, was er online sehen kann.

Nach diesem aufregenden ersten Tag fühlen wir uns bereit und sind gespannt darauf, was wir gemeinsam hier lernen werden.

Gergana: Vielen Dank für Deinen lebhaften Bericht und die tollen Bilder, die Du mitgebracht hast. Sie vermitteln einen recht anschaulichen Eindruck davon, wie es ist, im Silicon Valley zur Schule zu gehen. Herausheben möchte ich den Makerspace, denn diese Räume und die Idee, die dahinter steckt, sind sehr stark mit innovativen Bildungskonzepten verbunden, insbesondere auch im Kontext der Digitalisierung der Bildung.

Die Idee der Makerspaces, „traditionell ein gemeinschaftlich betriebener physischer Raum, in dem Menschen mit gemeinsamen Interessen gemeinsam DIY-Projekte unter Verwendung von Technologie, digitaler Kunst, Wissenschaft, Computern usw. realisieren“ (nach Rivas, 2014), ist nicht innerhalb offizieller Bildungsinstitutionen entstanden. 2005 fing es an mit der so genannten Maker-Bewegung und mit der Gründung der Zeitschrift „Make“, gefolgt von der ersten Maker-Messe in San Mateo, Kalifornien in 2006. Ziel der Bewegung war es, Menschen zu unterstützen, neue Hobbys zu erlernen, sie zu Neuem zu befähigen und dafür Gleichgesinnte zu vernetzen. Zeitschrift und Messe waren ein großer Erfolg und Dale Dougherty, Ideengeber und Gründer der Zeitschrift, brachte nachfolgend sein Projekt auch an Schulen. Er wollte bereits im Schulalter dafür inspirieren, Zusammenhang zwischen Technik und Design zu verstehen, die Do It Yourself-Kultur zu leben und zu verbreiten. Dabei stehen nicht das Erlernen von wissenschaftlichen Prinzipien, Gesetzen und Vorgehensweisen, sondern das Ausprobieren und die Suche nach kreativen und diversen Lösungen im Vordergrund.

Mittlerweile gibt es in vielen Städten schulinterne oder -externe Makerspaces, in denen Schüler:innen vor gestalterische und technische Herausforderungen gestellt werden. Im Kontext der Digitalisierung lernen Schüler:innen hier auch den Umgang mit verschiedenen digitalen Technologien auf eine spielerische und lösungsorientierte Weise. Das führt dazu, dass sie technologische Kompetenzen sowie Kompetenzen zur Anwendung von technischen und Designpraktiken entwickeln. Aber auch Kreativität und die Fähigkeit, Probleme zu lösen, als Schlüsselkompetenzen der Zukunft, werden hier vermittelt. Der freie Umgang mit der Technik und die besondere Kultur in Makerspaces fördert die kreative Entwicklung von Ideen und steigert sowohl die mentale als auch die physische Geschicklichkeit. Auch in unserer Forschungsgruppe "Bildung für die digitale Welt" wird hierzu geforscht. (siehe Publikationsliste)

Aber was mich jetzt brennend interessieren würde: wenn der Laptop so ein zentrales Lernmittel ist, wie ist dann der Unterricht aufgebaut? Wir haben ja in Deutschland im Kontext der Pandemie sehr unterschiedliche Erfahrungen mit verschiedenen Formen des digitalen Unterrichts gemacht, wie sieht das im Silicon Valley aus? Gab es hier auch einen pandemiebedingten Digitalisierungsschub?

Doris: Ja, das sind Fragen, die mich auch interessiert haben. Ich freue mich, Dir davon in unserer nächsten Folge zu berichten!

 

Ausgewählte Publikationen:

Brandenburger, B., & Vladova, G. (2020). Technology-enhanced learning in Higher Education. Insights from a qualitative study on university-integrated makerspaces in six European countries. In Seamless Learning-lebenslanges, durchgängiges Lernen ermöglichen (pp. 27-37). Quellenverweis: https://www.researchgate.net/publication/342261463_Technology-enhanced_learning_in_Higher_Education_Insights_from_a_qualitative_study_on_university-integrated_makerspaces_in_six_European_countries

Brandenburger, Bonny and Teichmann, Malte, Looking for participation – Adapting participatory learning oriented-didactic design elements of FabLabs in learning factories (April 3, 2022). Proceedings of the Conference on Learning Factories (CLF) 2022, Proceedings of the 12th Conference on Learning Factories (CLF 2022). Quellenverweis: papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm

Zum Weiterlesen:

Eriksson, E., Heath, C., Ljungstrand, P., & Parnes, P. (2018). Makerspace in school—Considerations from a large-scale national testbed. International journal of child-computer interaction16, 9-15.

Hira, A., Joslyn, C. H., & Hynes, M. M. (2014, October). Classroom makerspaces: Identifying the opportunities and challenges. In 2014 IEEE Frontiers in Education Conference (FIE) Proceedings (pp. 1-5). IEEE.

Rivas L. Creating a Classroom Makerspace. (2014) In Educational Horizons 2014 vol. 93 no. 125-26.