Auslandsüberweisungen unter Verdacht
Auslandsüberweisungen sollten in einer global vernetzten Welt eigentlich kein Problem sein. Die Soziologin Alexandra Keiner erklärt, warum die Digitalisierung hier nicht allen gleichermaßen hilft und welche Ressentiments darum geschürt werden.
Trotz Digitalisierung ist es immer noch schwierig, Geld an Verwandte und Freunde im Ausland zu überweisen. Wer es tut, zahlt entweder hohe Gebühren oder gerät schnell unter Verdacht. Wir sprachen mit der Weizenbaum Forscherin Alexandra Keiner über das Geld, das Familien über Grenzen hinweg zusammenhält, und die Beweislast, unter der sie leiden.
Du beschäftigst dich mit digitalen Zahlungs- und Finanzdiensten. Wozu forschst du genau?
Alexandra Keiner: In meiner Forschung beschäftige ich mich unter anderem mit Finanzinfrastrukturen für Auslandsüberweisungen, auch Rücküberweisungen genannt. Ein Fokus meiner Arbeit ist auch die Schnittstelle von Finanztransaktionen und Migration, zum Beispiel wie Finanzinfrastrukturen genutzt werden, um Migrant:innen zu überwachen oder einzuschränken. Ein aktuelles und prominentes Beispiel ist die neu eingeführte Bezahlkarte für Asylbewerber:innen.
Auslandsüberweisungen bzw. Remittances werden aktuell in der Debatte um Migration viel diskutiert. Was sind Remittances eigentlich und warum ist das Thema so wichtig?
Keiner: Es gibt keine offizielle Definition. Der Begriff wurde von der Weltbank geprägt und bezeichnet das Geld, das Migrant:innen an Verwandte und Freunde in den Herkunftsländern schicken. Viele Migrant:innen unterstützen ihre Familien in den Herkunftsländern, unabhängig davon, ob sie nur vorübergehend oder dauerhaft geflohen oder migriert sind. Eltern schicken zum Beispiel Geld für ihre Kinder oder für deren Betreuung. Oder sie schicken Geld, um Arztrechnungen zu bezahlen, Medikamente zu kaufen oder Schulden zu begleichen.
Die Beträge sind oft klein und liegen im Schnitt bei 200 Euro, aber in der Gesamtmenge summieren sie sich zu viel Geld. Schätzungsweise sind die Rücküberweisungen dreimal so hoch wie die weltweite Entwicklungshilfe, und in einigen Ländern, auch in Europa, sind sie ein wichtiger Teil der Wirtschaft. In Moldawien machten sie 2023 fast 12 Prozent des BIP aus, im Libanon mehr als 30 Prozent.
Gerade für Migrant:innen, die geringe Summen in wirtschaftlich instabile Länder schicken, ist es jedoch schwierig, Geld zu versenden, da es keine öffentlich organisierte Zahlungsinfrastruktur gibt. Remittances können daher nur über private Anbieter wie Banken, Kreditkarten oder Dienste wie Western Union verschickt werden. Viele Menschen können kein Geld an ihre Familien überweisen, weil sie kein Bankkonto haben. Und da derzeit vieles, was Migrant:innen tun, unter dem Verdacht steht, illegal oder informell zu sein, sind auch Rücküberweisungen in die Kritik geraten.
Wie verschickt man Geld ins Ausland, wenn das Gegenüber kein Konto hat und welche Rolle spielen hier digitale Zahlungsdienstleister?
Keiner: Trotz der Digitalisierung ist dies immer noch sehr schwierig. Auch wenn beide Parteien ein Konto haben, bieten viele Banken Überweisungen in bestimmte Länder nicht oder nur zu sehr schlechten Konditionen an, weil es für sie bei kleinen Beträgen nicht lukrativ genug ist.
Digitale Zahlungsdienste wie Paypal oder Remitly sind auch keine gute Option, da sie zum einen ebenfalls größtenteils auf Bankkonten basieren und zum anderen die Gebühren sehr hoch sein können, sobald man die eigene Währung verlässt. Um Kosten zu sparen, erfolgt die Betrugserkennung bei vielen digitalen Zahlungsdienstleistern automatisch und immer häufiger mithilfe von KI, die nicht selten diskriminierende Entscheidungen trifft. Was zum Beispiel dazu führt, dass Transaktionen in bestimmte Länder pauschal unter Verdacht geraten oder Zahlungen blockiert werden.
Wenn eine oder beide Parteien kein Konto haben, gibt es die Möglichkeit, Geld über sogenannte Money Transfer Operators wie Western Union oder Ria zu schicken. Das Geld wird dann – ohne die Beteiligung von Banken – über ein weltweites Netz von speziell lizenzierten Agenten transferiert. Man bringt zum Beispiel das Geld zu einer Western-Union-Filiale in Berlin und die Empfängerin holt es dann bei einem Western-Union-Agenten in Beirut ab. Die beiden Agenten kommunizieren über ein geschlossenes System von Western Union, sodass für den Geldtransfer keine Bankinfrastruktur benötigt wird. Aber auch diese Dienste haben sehr hohe Gebühren, je nach Land liegen sie zwischen 5 und 9 %.
Gerade weil die Gebühren über formelle Wege zu hoch sind, die Bankeninfrastruktur oder die Währung vor Ort zu unsicher sind, wird ein Großteil der Rücküberweisungen über informelle Kanäle getätigt. Ein weiterer Grund sind Wirtschaftssanktionen, die derzeit gegen Länder wie Russland oder den Iran verhängt sind. Sie treffen die Diaspora und ihre Familien überproportional, da sie Rücküberweisungen unmöglich machen, während Wirtschaftseliten weiterhin Geld über ausländische Banken oder andere Beziehungen erhalten können.
Wie sehen diese informellen Wege aus?
Keiner: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Geld informell ins Ausland zu schicken. Man kann es selbst mitbringen, Freunden und Bekannten geben oder per Post oder Busunternehmen schicken. Das ist aber nicht immer möglich. Zum Beispiel, wenn man nicht mehr in das Land einreisen darf.
Eine weitere Möglichkeit ist das sogenannte Hawala-System. Dabei handelt es sich um Netzwerke von Mittelspersonen, ähnlich den Money Transfer Operators, nur ohne staatliche Zulassung oder Kontrolle. Das Geld fließt über Mittelspersonen – auch Hawaladare genannt – ohne dass es direkt verschickt wird. Stattdessen wird es zwischen den Hawaladaren separat verrechnet.
Da es keine staatliche Kontrolle gibt, basiert das System auf Vertrauen und Mundpropaganda in den lokalen Communitys. Es ist also nicht ungefährlich, auf diese Weise Geld zu verschicken, da man Verluste im Zweifelsfall nicht melden kann. Hawala-Systeme haben aber auch den großen Vorteil, dass sie meist keine Gebühren für den Geldtransfer erheben, sondern sich über den Währungsumtausch finanzieren. Das Geld kommt innerhalb eines Tages an, und zwar auch in ländlichen Gebieten, in denen es keine Banken oder Western-Union-Filialen gibt.
Es liegt auf der Hand, dass Hawala-Systeme, da sie keiner staatlichen Kontrolle unterliegen, auch für illegale Geschäfte oder Geldwäsche genutzt werden. Es ist aber ein Trugschluss, dass Remittances deshalb auch illegale Transaktionen sind.
Was müsste getan werden, um diese Situation zu verbessern und was passiert hier bereits?
Keiner: Einerseits müssten die formellen Finanztransaktionswege mehr Menschen offenstehen. Die UN hat das Problem bereits erkannt und hat in ihren Nachhaltigkeitszielen beschlossen, die Gebühren für Rücküberweisungen bis 2030 auf unter drei Prozent zu senken. Das ist ein wichtiger Schritt, der aber andere Probleme wie die fehlende Infrastruktur für Remittances in Kriegsgebieten oder ländlichen Regionen nicht löst.
Zum anderen müssen Remittances als politische und soziale Prozesse verstanden werden, die nicht einfach durch digitale Technologien gelöst werden können. Es braucht daher überall einen Wandel im politischen Umgang damit. Ein wichtiger Schritt wäre, Migration nicht länger zu kriminalisieren und formelle wie informelle Wege des Geldsendens nicht pauschal unter Verdacht zu stellen.
Remittances werden auch zu stark danach bewertet, wofür sie vermutlich ausgegeben werden. Entweder werden sie als bessere Entwicklungshilfe und als Investition in Bildung romantisiert oder der Finanzierung von Terrorismus verdächtigt. Beides schränkt die Autonomie der Menschen ein und bürdet ihnen einen hohen Rechtfertigungsdruck auf, wie sie ihr Geld ausgeben.
Letztlich sollte nicht mehr bewertet werden, wer Remittances versendet. So wird derzeit kritisiert, dass Geflüchtete einen Teil ihrer Sozialleistungen ins Ausland schicken und mit der Einführung der Bezahlkarte für Asylbewerber:innen in Deutschland sollen Rücküberweisungen unterbunden werden. Dabei ist erstens gar nicht klar, wie häufig das passiert, und zweitens sollen Sozialleistungen in Deutschland - anders als in autoritären Staaten - Autonomie und Selbstbestimmung gewährleisten. Aktuell beobachten wir das Gegenteil.
Wir bürden Privatpersonen, die kleine Geldsummen verschicken, eine hohe Beweislast auf, während Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung oder Steuerhinterziehung nach wie vor hauptsächlich über Banken abgewickelt werden. So wurden im Jahr 2023 schätzungsweise 3,1 Billionen US-Dollar an illegalen Geldern über das globale Finanzsystem bewegt, fast das 5.000-fache der gesamten Rücküberweisungen desselben Jahres. Und wie der Wirecard-Skandal gezeigt hat, liegt das Problem eher darin, dass die Behörden selbst große Transaktionen für Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Steuerbetrug über offizielle Kanäle kaum verhindern können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Alexandra Keiner ist Soziologin und Doktorandin in der Forschungsgruppe „Normsetzung und Entscheidungsverfahren“ am Weizenbaum-Institut. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Finanz- und Zahlungsinfrastrukturen, Plattformökonomie und Migration. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit der Digitalisierung von Auslandsüberweisungen von Migrant:innen an Verwandte und Freund:innen in den Herkunftsländern, auch Remittances genannt.
Das Interview führte Leonie Dorn.
Dieses Interview ist Teil des Fokus „Zusammenhalt in der vernetzen Gesellschaft.“ Wissenschaftler:innen des Weizenbaum-Instituts geben in Interviews, Berichten und Dossiers Einblicke in ihre Forschung zu den verschiedensten Aspekten von digitaler Demokratie und digitaler Teilhabe. Mehr erfahren