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Rechtsextremer Wahlkampf auf Telegram – „Es funktioniert wie ein eigenes Medienoutlet“

Die Landtagswahlen in Ostdeutschland waren ein Erfolg für die Antidemokrat:innen. Weizenbaum Forscher:innen Baoning Gong und Kilian Bühling haben untersucht, wie rechtsradikale Politiker:innen die Plattform Telegram zur Mobilisierung genutzt haben.

Baoning Gong und Kilian Bühling untersuchen in der Forschungsgruppe „Dynamiken der digitalen Mobilisierung“ wie antidemokratische Gruppen im Internet mobilisieren und Desinformation und Verschwörungstheorien quer über verschiedene Social-Media-Plattformen verbreiten. Wir sprachen mit ihnen über die Rolle von Telegram bei den vergangenen Landtagswahlen, die Risiken bei der Erforschung rechtsradikaler Subkulturen und warum wir alle um den Zugang zu Plattformdaten bangen müssen.

Ihr habt die Mobilisierung rechtsextremer Gruppen und Parteien bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg beobachtet. Was genau habt ihr untersucht?

Kilian Bühling: Wir haben rechtsextreme Parteien und ihre Kommunikation auf Telegram während der Wahlkämpfe in Ostdeutschland untersucht. Dabei wollten wir verstehen, inwiefern die konkrete Plattform-Architektur von Telegram die Kommunikation dieser politischen Akteure beeinflusst und welche Wechselwirkungen sich dabei ergeben.

Baoning Gong: Wir wollten wissen, wie bestimmte Plattform-Features herangezogen und absichtlich strategisch bedient wurden, um bestimmte Dynamiken voranzutreiben.

Wie seid ihr konkret vorgegangen?

Gong: Wir haben einerseits mit großen Datensätzen gearbeitet, um darin Muster mit statistischen Verfahren zu erkennen, wie zum Beispiel bestimmte Abfolgen oder Abhängigkeiten von Postings. Aber das muss im Zusammenhang mit den Inhalten gesehen werden. Deshalb haben wir auch Inhaltsanalysen vorgenommen, um in der Tiefe Muster in den Bedeutungen zu erkennen, und um zum Beispiel auffällige Inhalte mit bestimmten Dynamiken zu verknüpfen.

Bühling: Dafür haben wir einerseits die Metadaten genutzt, auf die man über die Telegram-API Zugriff hat. Aber wir haben auch die öffentlichen Kanäle dieser Politiker:innen sehr genau gelesen und die Inhalte analysiert. Was wir aus forschungsethischen Gründen aber nicht machen, ist in geschlossenen Gruppen oder Kanälen mitlesen und diese auswerten. Bei unserer Untersuchung geht es um den öffentlichen Diskurs, der von solchen Akteuren angestoßen wird.


Warum habt ihr speziell Telegram untersucht?

Bühling: Der Grund, warum die radikale und extreme Rechte Telegram sehr viel benutzt, ist die Kombination aus privatem Messenger-Dienst, den manch einer von uns auch nutzt, um mit Freund:innen zu schreiben und der Kommunikation über öffentliche Kanäle und öffentliche Gruppen. Diese sind bewusst darauf ausgelegt, dass Leute auch ohne eine – was man früher Freundschaftsanfrage genannt hat – die Posts von Politiker:innen lesen können. 

Gong: Das ist zwar nicht mehr ganz das Alleinstellungsmerkmal von Telegram, aber ein Feature, das von der Plattform eingeführt wurde und wofür sie bekannt ist. Unbegrenzt viele Leute können diese Kanäle abonnieren und es funktioniert am Ende des Tages wie ein eigenes Medienoutlet. Jede oder jeder kann einen solchen Kanal erstellen und dort ungefiltert Inhalte ausstrahlen. Das zeigt auch vor allem Kilians vorherige Forschung: Anders als auf anderen Plattformen haben Nutzer:innen auf Telegram keine algorithmisch kuratierte oder durch das eigene Nutzungsverhalten beeinflusste Timeline, auf der man auch andere Inhalte entdeckt. Die Inhalte werden nur durch das Netzwerk dieser völlig ungefilterten und selbstverwalteten Kanäle verbreitet. Das ist vielleicht auch das, was diese Plattform so explosiv macht.

Die Ergebnisse haben wir noch nicht, aber wofür sollen sie später genutzt werden?

Gong: Wir gewinnen ein tieferes Verständnis davon, wie solche Akteur:innen mittels bestimmter Plattform-Features agieren, und das ist auch hilfreich, wenn diese Funktionen von anderen Plattformen eingeführt werden sollten.

Bühling: Das kann für zivilgesellschaftliche Akteur:innen wichtig sein, die versuchen, vor Ort ihre Arbeit zu machen und zu verstehen, wie bestimmte Gruppen handeln oder mobilisieren. Es kann auch für Policy Maker relevant sein, wenn es darum geht, wie so eine Plattform reguliert werden sollte. Und natürlich für die Plattform selbst ist es fast wie eine kostenlose Serviceleistung, dass wir untersuchen und veröffentlichen, wie bestimmte Plattform-Mechanismen die Informationsverbreitung beeinflussen.

Welche Herausforderungen begegnen euch bei der Forschung?

Gong: Der Zugang zu Daten wird immer schwieriger. Im vergangenen Jahr haben wir beobachtet, wie mehrere große Plattformen den Zugang zu ihren Daten verschlossen haben, allen voran Twitter/X, Reddit und jetzt Facebook. Das wirkt sich dann natürlich darauf aus, wo und ob wir überhaupt Erkenntnisse darüber erlangen, wie gefährliche Akteur:innen mobilisieren.

Bühling: Wir haben gesehen, wie sich nach dem Cambridge Analytica Skandal, mehr und mehr Plattformen der öffentlichen Erforschung im Sinne der Transparenz geöffnet haben. Und jetzt sehen wir im Prinzip eine Gegenentwicklung. Die Frage ist, ob der Digital Services Act (DSA) das lösen kann. In dem Gesetzt steht, Forscher:innen sollten Zugriff zu Plattformdaten haben, wenn es sich um die Erforschung systemischer Risiken für die Gesellschaft handelt. Diese systemischen Risiken sind auf vielen Plattformen vorhanden.

Gong: Bis der DSA umgesetzt ist, braut es noch Zeit. Es bleibt abzusehen, was passiert, wenn Plattformen sich einfach nicht daran halten oder Strategien entwickeln, den Zugang hinauszuzögern oder zu umgehen – und ob irgendwann unsere Anträge einfach abprallen.
Bühling: Am besten wäre ein allgemeiner, öffentlicher Zugang.


Der CEO von Telegram wurde vor Kurzem verhaftet, unter dem Vorwurf, die Plattform würde zu wenig mit Behörden bei der Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus kooperieren. Wie könnte sich das auf eure Forschung auswirken?

Bühling: Eine juristische Bewertung des Vorfalls steht uns nicht zu. Aber gemäß des DSA zählt Telegram nicht als Very Large Online Platform. Die von ihnen veröffentlichte Nutzer:innenzahl liegt knapp unter der entsprechenden Grenze. Ob das stimmt oder nicht, ist die Frage. Im Augenblick ist Telegram jedenfalls nicht so vielen Pflichten in der Moderation unterworfen. Nichtsdestotrotz, kurz nach der Festnahme hat der Gründer von Telegram bekannt gemacht, dass die Vorkehrungen für mehr Moderation getroffen werden. Inwiefern das tatsächlich umgesetzt wird und welche Auswirkungen das auf antidemokratische Akteur:innen, die auf der Plattform in Deutschland und Europa aktiv sind, einen Einfluss haben wird, werden wir noch sehen.

Gong: Das Ereignis der Verhaftung hat jedenfalls bei Verschwörungstheoretischen, Anti-Elitistischen Gruppen oder auch rechten Gruppierungen relativ schnell das Narrativ bedient, man sei Opfer von Zensur und die Meinungsfreiheit würde eingeschränkt.

Diese rechten Gruppierungen sind ja nicht gerade ungefährlich. Gibt es da besondere Risiken bei eurer Forschung und wie geht ihr damit um?

Gong: Das Team beschäftigt sich ja jetzt nicht nur in diesem Projekt mit gefährlichen Inhalten, wir haben generell mit Dingen wie Hetze, Hassbotschaften, Desinformation oder Verschwörungstheorien zu tun. Und dahingehend müssen wir uns, besonders die, die mit ihrer Forschung in der Öffentlichkeit stehen, schützen. Dafür haben wir Maßnahmen wie Briefings und Gespräche.

Ein anderes Risiko ist, dass die Akteur:innen, die wir untersuchen, sich auch dessen bewusst sind, dass wir über sie forschen und Strategien dagegen entwickeln. Das alles bleibt bei unserer Forschung dauerhaft im Hinterkopf.

Bühling: Jede:r Wissenschaftler:in geht damit unterschiedlich um, wie sehr sie oder er in der Öffentlichkeit stehen will. Gerade für uns als aufstrebende Wissenschaftler:innen, ist es besonders schwierig, weil wir nicht so sehr unter dem Schutzschirm einer Professur an einer Universität stehen. Man kann bestimmte Maßnahmen ergreifen, aber im Grunde schützt einen nichts. Alle möglichen Leute werden im Internet gedoxxt, auch diejenigen, die mehr auf Datenschutz achten.

In letzter Zeit gab es viele Berichte darüber, dass Forscher:innen zu Desinformation von Politiker:innen angegriffen und diskreditiert wurden. Wird eure Forschung auch politisiert?

Bühling: Das ist eine bedrohliche Entwicklung. Vor allem von rechtsextremen Politiker:innen wird achtlos in Kauf genommen, dass die Lebensgrundlagen von Forscher:innen durch solche Kampagnen zerstört werden. Auch die Entwicklungen auf der Plattform X machen mir Sorgen. Deren Besitzer hat eine explizite politische Agenda und schreckt nicht davor zurück, beiläufig missliebige Forscher:innen und Journalist:innen vor den Bus zu werfen.

Gong: Man wird sich dabei bewusst, dass man selbst als Wissenschaftlerin Teil eines Anti-Elitismus Narrativs ist. Eine Ideologie, in der Wissenschaft und Hochschule des Öfteren attackiert werden. Wir analysieren selbst diese Diskurse und sehen, wie wir selbst Teil des Feindbildes sind. Das zu realisieren, ist wichtig für den Forschungsprozess.

Gleichzeitig ist eure Forschung sehr wichtig und sollte in der Öffentlichkeit diskutiert werden. Was können wir also dagegen tun?

Bühling: Im Endeffekt bleibt nur die Hoffnung, dass wenn ein Fall eintritt, der institutionelle Rücken stark ist. Das ist eine Aufgabe der ganzen Wissenschaftscommunity, wenn jemand öffentlich attackiert wird, sich geschlossen zu positionieren und zu reagieren. Das gilt für Extremismus-Forscher:innen, Kommunikationsforscher:innen, aber auch für Klimaforscher:innen oder Epidemiolog:innen.

Gong: Es herrscht ein vergiftetes Diskursklima in einigen Themenbereichen. Ich würde mir da auch in der Lehre mehr Diskussionen über den Umgang damit wünschen, auch Schulungen zum Beispiel. Denn das sind Fragen, die viele beschäftigen, auch Studierende.

Was hat euch trotzdem motiviert, zu dem Thema zu forschen?

Bühling: Für mich war es mein Aufwachsen. Es ist für mich eindeutig sichtbar, dass das ein Problem ist für die Demokratie, für die Gesellschaft, und dass sehr viele Menschen konkret unter der extremen Rechten leiden – auf der Straße, in der Straßenbahn, überall.

Gong: Ich selbst bin in Ostdeutschland aufgewachsen, was einen natürlich dahingehend prägt. Aber ich habe auch ein generelles Interesse daran zu verstehen, was hier eigentlich falsch läuft. Ich möchte gerne verschiedene Faktoren davon ergründen, wie wir an diesen Punkt gekommen sind, an dem Teile der Gesellschaft, Wissenschaft und oder speziell Impfmedizin nicht mehr vertrauen – ob nun durch rechte Akteur:innen, Plattformen oder Alternativmedien. Solche Phänomene interessieren mich einfach.

Wie geht es weiter, wozu forscht ihr als nächstes?

Gong: In meiner Dissertation vergleiche ich Plattformen und wie dort rechte Akteure unterschiedlich mobilisieren können. Dafür ist der Zugang zu Plattformdaten sehr wichtig. Ich finde, besonders im Kontrast zwischen Plattformen sieht man, welche Dynamiken von welcher Technologie begünstigt werden. Aktuell wird der Erfolg der AfD vor allem bei jungen Menschen häufig TikTok zugeschrieben. Wir müssen genau mit solchen Studien untersuchen, ob wir da nicht am Kern der Lösung vorbei argumentieren.

Bühling: Meine Forschung setzt sich weiterhin damit auseinander, wie solche Mobilisierungen und Falschinformationen sich über verschiedene Social-Media-Plattformen und generell im Internet verbreiten, auch im Vergleich über verschiedene Plattformen hinweg. Bei mir sind jetzt einige Studien zu Verschwörungstheorien geplant, die für rechte Mobilisierung benutzt werden – und was man dagegen tun könnte.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Baoning Gong ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin der Forschungsgruppe „Dynamiken der digitalen Mobilisierung.“ Sie untersucht den Einfluss von Plattformfunktionalitäten auf die Mobilisierung der Extremen Rechten. In ihrer Dissertation analysiert sie die Netzwerke rechtsextremer Bewegungen auf verschiedenen Social-Media-Plattformen, darunter auch Randplattformen, die extremere Communitys beherbergen.

Dr. Kilian Bühling forscht ebenfalls als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe „Dynamiken der digitalen Mobilisierung.“ Er untersucht transnationale Kommunikationsprozesse und Vernetzungsdynamiken von antidemokratischen und verschwörungstheoretischen Gruppen im digitalen Raum.

Das Interview führte Leonie Dorn

Dieses Interview ist Teil des Fokus „Zusammenhalt in der Vernetzen Gesellschaft.“ Wissenschaftler:innen des Weizenbaum-Institutes geben in Interviews, Berichten und Dossiers Einblicke in ihre Forschung zu den verschiedensten Aspekten von digitaler Demokratie und digitaler Teilhabe. Mehr erfahren