
Welchen Einfluss haben digitale Plattformen auf Meinungsbildung und Wahlentscheidungen?
Bisher fehlt ein umfassendes Bild davon, welche Inhalte den Nutzerinnen und Nutzern sozialer Netzwerke angezeigt werden – und damit auch, welche Wirkung sie entfalten. Ein neues Forschungsprojekt will nun Licht in dieses digitale Dunkelfeld bringen.
Um mehr über die Feed-Inhalte von Nutzer:innen sozialer Medien zu erfahren, startet ein interdisziplinäres Rechercheteam des Bayerischen Rundfunks, der Stuttgarter Zeitung, des Weizenbaum-Instituts und der Universität Zürich ein innovatives Datenspendeprojekt. Wir haben mit Lion Wedel, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe „Dynamiken digitaler Nachichtenvermittlung“, über das Vorhaben gesprochen.
Lieber Lion, im Vorfeld der Bundestagswahl plant Ihr ein Datenspendeprojekt zu TikTok. Was genau ist das und warum ist das wichtig?
Bei dem Projekt „Dein Feed, Deine Wahl“ geht es uns darum, zu verstehen, inwieweit politische Inhalte von offiziellen und inoffiziellen Accounts tatsächlich auch im Tiktok-Feed von Bürgern und Bürgerinnen auftauchen – und vielleicht sogar Wahlentscheidungen beeinflussen.
Damit wir das untersuchen können, benötigen wir Daten dazu, was Nutzerinnen und Nutzer tatsächlich für Videos geschaut haben. Und die können wir nicht einfach einsehen. Hier kommen Datenspenden ins Spiel: Nutzerinnen und Nutzer digitaler Plattformen haben das Recht, die über sie gespeicherten Daten einzusehen – und zum Beispiel mit Forschenden wie uns zu teilen.
Für uns ist dabei wichtig, dass nicht nur wir Forschenden etwas von der Spende haben, sondern wir auch den Spendern und Spenderinnen etwas bieten können. Alle, die mitmachen, bekommen eine direkte Auswertung der politischen Inhalte in Ihrem Feed. Dieser Report zeigt dann individuell für alle Teilnehmenden auf, von welchen Parteien und politischen Inhalten der eigene Feed am meisten geprägt ist.
So trägt das Projekt nicht nur mittel- und langfristig zum Verständnis der Verbreitung von (politischen) Informationen auf TikTok bei, sondern hilft auch den eigenen Feed besser zu verstehen.
Was sind die Herausforderungen?
Bei der Datensammlung gibt es vor allem drei Herausforderungen. Zuerst müssen wir ausreichend Nutzende erreichen, die Ihre Daten spenden. Die zweite Herausforderung ist das ethische und datenschutzkonforme Sammeln von Datenspenden. Das ist gar nicht so einfach, denn sie können viele sensible Daten enthalten – wie zum Beispiel die Adresse oder Kreditkartendaten der Nutzenden, die wir natürlich schützen wollen. Drittens ist die Auswertung von digitalen Spurendaten, wie wir Sie in dem Projekt erheben, methodisch sehr anspruchsvoll.
Bei dem Projekt arbeitet Ihr mit dem Bayerischen Rundfunk, der Stuttgarter Zeitung und der Universität Zürich zusammen. Was sind die Vorteile dieser Kooperation, wie helfen sie Euch, die eben beschriebenen Herausforderungen zu lösen?
Die Kompetenzen unserer Partner helfen uns dabei, die eben beschriebenen Herausforderungen zu meistern.
Der Bayerische Rundfunk und die Stuttgarter Zeitung helfen uns mit ihrer Reichweite, das Projekt in die Öffentlichkeit zu tragen. Gleichzeitig eröffnen sich durch die Zusammenarbeit mit Datenjournalist:innen reichweitenstarke Veröffentlichungswege abseits der langwierigen wissenschaftlichen Publikationsprozesse.
Wir als Weizenbaum-Institut bringen viel Erfahrung in der Verarbeitung und Analyse von Datenspenden mit und begleiten aus der fachlichen Perspektive der politischen Kommunikationswissenschaften. Gemeinsam mit der Uni Zürich kümmern wir uns um die Erstellung von Website, Report und dem Aufsetzen der technischen Infrastruktur.
Die Uni Zürich unterstützt vor allem technisch durch ihr „Data Donation Module“, mit dem sich Datenspendeprojekte aufsetzten lassen, die allen rechtlichen und ethischen Richtlinien vollumfänglich entsprechen. So können wir sicherstellen, dass wir auch nur die Daten sammeln, die wir wirklich brauchen bzw. Nutzende nur das spenden, was Sie auch spenden wollen und dass die gespendeten Daten auch wirklich anonymisiert sind.
Wie kann man das Projekt konkret unterstützen?
Das Projekt ist live und erreichbar unter https://dein-feed-deine-wahl.de/. Wir freuen uns riesig über alle, die mitmachen und das Projekt weiterleiten und teilen!
Das Interview führte Mikiya Heise.