Vernetzt und abgehängt: Ein Rückblick auf das dritte Weizenbaum-Forum
Die dritte Ausgabe des Weizenbaum-Forums am 8. Dezember 2020 widmete sich dem Thema digitale Bildung und soziale Ungleichheit.
Was haben wir in diesem Jahr über Bildungsungleichheit gelernt? “Dass Schulerfolg von sozialem Hintergrund abhängt und digitale Lösungen auch sehr exklusiv sein können. Dass es Kindern und Eltern teilweise am nötigsten fehlt und dass Armut den Menschen in den Ministerien so fern ist, dass sie sich das gar nicht vorstellen können.” Dies sind nur einige der interaktiv abgegebenen Zuschauer-Antworten, mit denen die neuste Ausgabe des Weizenbaum-Forums eröffnete. Diesmal zu Gast: Ina Czyborra (Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses), Antonia Köster (Forschungsgruppenleiterin am Weizenbaum-Institut) und Nicolás Urióstegui (Lehrer im Quereinstieg an der Fläming-Grundschule Berlin). Eine thematische Einleitung gab Weizenbaum-Direktor Sascha Friesike, die Moderation übernahm Teresa Sickert.
Verstärkte Ungleichheit
Als Lehrer an einer Berliner Grundschule legte Nicolás Urióstegui im ersten Impulsbeitrag die Perspektive aus der Praxis dar. So sei die Lage in Hinblick auf Bildungsungleichheit bereits vor der Pandie prekär gewesen. “In Deutschland leben wir in einem explizit ungerechten Bildungssystem”, sagte Urióstegui. Die Kontaktbeschränkungen um COVID-19 hätten dieses Problem nur verschlimmert. Ein Grund dafür seien die fehlenden bundesweiten Rahmenpläne für Medienkompetenz. “Die Diskussion geht sehr viel um Technik, aber die Inhalte und Lehr-Konzepte sind sehr vernachlässigt worden.” Zusammen mit der mangelnden technischen Infrastruktur an Schulen verstärke die digitale Lehre, wie sie während der Schulschließungen stattfand, die Ungleichheit unter Schülern:innen.
Ein “gezwungener” Digitalisierungsschub
Forschungsgruppenleiterin Antonia Köster trug die neuesten Erkenntnisse ihrer Studie mit Lehrern:innen vor, die zu den Auswirkungen der Schulschließungen befragt wurden. Diese gaben allgemein an, dass die Schulschließungen in Deutschland zwar zu einem “gezwungenen” Digitalisierungsschub geführt hätten, aber dabei auch viele Probleme sichtbar geworden seien. Neben den technischen Voraussetzungen (verfügbares Endgerät, Internetzugang) spielten auch persönliche Kompetenzen wie Sprachbarrieren, Lese- und Schreibkompetenz der Kinder und deren Eltern sowie die digitale Kompetenz der Lehrer:innen und Schüler:innen eine große Rolle in der Gestaltung des Fernunterrichts. Zudem seien vor allem Grundschüler:innen auf entsprechende Betreuung und Unterstützung zu Hause angewiesen. Sind diese Umstände nicht gegeben, “dann trifft es vor allem die, die es auch schon vorher schwer hatten”, resümierte die Forscherin.
Gründe für den digitalen Rückstand
Im dritten und letzten Beitrag ging Ina Czyborra, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, auf die politische Perspektive in der Debatte um Bildungsungleichheit ein. Rahmenbedingungen wie der bundesweite Sanierungsrückstau in den Schulen, mangelnde Lehrkräfteversorgung und die fehlende Vermittlung von Medienkompetenz im Bereich der Lehrkräftebildung seien nur einige der Faktoren, die dafür gesorgt hätten, dass Schulen und Lehrer:innen schlecht auf die digitale Lehre vorbereitet waren. “Ich hoffe, dass wir durch die Pandemieerfahrung einen neuen Blick auf dieses Thema bekommen”, sagte Czyborra. Außerdem betonte die Politikerin die Notwendigkeit, digitale Bildung weiter wissenschaftlich zu erforschen.
Den Vorträgen schloss sich eine rege Diskussion an, die deutlich machte, dass Bildungsungleichheit langfristig und flächendeckend nur dann ausgeräumt werden kann, wenn die Digitalisierung auch nach der Pandemie ganz oben auf der bildungspolitischen Agenda steht.