
Über die digitale Ausstellung: Pionier, Skeptiker, Aktivist: Wendepunkte im Leben von Joseph Weizenbaum
Im Rahmen des Jubiläumsjahrs W/100 wurde eine digitale Ausstellung zu Joseph Weizenbaum entwickelt. Verschiedene Beiträge würdigen aus unterschiedlichsten Perspektiven den Namensgeber unseres Instituts und sein Lebenswerk. Wir haben mit dem Projektverantwortlichen Moritz Buchner gesprochen.
Lieber Moritz, warum habt Ihr eine digitale Ausstellung zu Joseph Weizenbaum umgesetzt?
Moritz Buchner (MB): Im Jahr 2023 wäre Joseph Weizenbaum 100 Jahre alt geworden. Das war natürlich ein Anlass, sich eingehender mit ihm und seinem Werk zu beschäftigen. Dass Weizenbaum eine spannende, relevante und auch unterhaltsame Persönlichkeit war, zeigte schon der Festvortrag seiner langjährigen Wegbegleiterin Christiane Floyd, mit dem wir das Jubiläumsjahr W/100 eröffnet haben.
Der Grundgedanke war, etwas von dauerhafter Relevanz schaffen, einen Erinnerungsort für Joseph Weizenbaum. Am Anfang stand die Idee einer Festschrift im Raum, die im Rückblick zugegebenermaßen etwas verstaubt wirkt. Als wir mit dem Recherchieren und Sammeln loslegten, bekamen wir viele Zusendungen aus aller Welt: Anekdoten und Erinnerungen von Weggefährt:innen, Quellen aus dem MIT-Archiv, Pressebeiträge, Videos usw. Da wurde schnell klar, dass wir multimedial denken müssen. Dafür erschien uns das Format eines Scrollytellings am geeignetsten: Eine digitale Darstellung, in der man sich durch eine Geschichte scrollen kann.
Mit dem KI-Hype hat die Intervention von Joseph Weizenbaum ja nochmal eine besondere Aktualität gewonnen.
MB: Ja, das war natürlich ein bemerkenswerter Umstand. Kurz nach Weizenbaums 100. Geburtstag kam ChatGPT, und Weizenbaums Themen bekamen auch für die breite Öffentlichkeit schlagartig eine unerwartet große Relevanz. Die aktuellen Debatten um den KI-Hype unterstreichen die Bedeutung seiner Intervention. Damit meine ich weniger sein Narrativ einer bevorstehenden KI-Apokalypse, sondern, erstens, die Frage danach, welche Aufgaben wir dieser Technologie übertragen und was ihr Einsatz für eine Gesellschaft bedeutet. Und, zweitens, die Frage nach der Verantwortung derjenigen, die diese Technologie erschaffen und über sie verfügen.
Weizenbaum-Biografien gibt es ja bereits einige, worin unterscheidet sich Eure?
MB: Eine umfassende Biografie Weizenbaums steht bisher noch aus. Weizenbaum war selbst ein großer Storyteller, weshalb Darstellungen von ihm bisher stark autobiografisch beeinflusst sind. Das Besondere an der Ausstellung ist zum einen die multimediale Aufbereitung, durch die man sich durch eine Geschichte scrollen kann. Es ist niedrigschwellig, unterhaltsam und bietet einen fast cineastischen Zugang zu Weizenbaums Lebensgeschichte. Was die Ausstellung inhaltlich ausmacht, ist die Erzählung anhand biografischer Wendepunkte: denn Weizenbaums Leben ist eine Geschichte der Brüche und Umorientierungen. Uns hat interessiert, wie er sein Schicksal, seinen Lebensweg immer wieder selbst in die Hand genommen hat.
Welche Brüche meinst Du?
MB: Da ist zunächst die Emigration der Familie von Berlin in die USA infolge des NS-Terrors. Der Verlust der vertrauten Umgebung und der Sprache machten den gerade 13-jährigen Joseph zum Außenseiter und zwangen ihn, neue Wege zu erkunden. So entdeckte er sein Talent für die Mathematik. Sie war für ihn eine Universalsprache und führte ihn zur Arbeit mit Computertechnik. Auf diesem Weg war er sehr erfolgreich, er führte ihn bis zur Professur am MIT. Dies war ein weiterer Wendepunkt für ihn, denn er bewegte sich nun im Spannungsfeld zwischen seiner Leidenschaft – der Forschung – und den Bedingungen, unter denen sie stattfand: Der Kalte Krieg und die damit einhergehenden militärischen Interessen. Er begann, an seiner Tätigkeit zu zweifeln – verständlicherweise, wenn man Weizenbaums Herkunft mitdenkt. Diese Zweifel kulminierten, zusammen mit seinem größten wissenschaftlichen Erfolg, im „ELIZA-Moment“ (1966): Seine Ernüchterung über den naiven Umgang der Menschen mit Computern, die er bei der Verwendung seines Chatbots ELIZA beobachtete.
Wir haben das schöne, aber leider nicht sicher belegbare Bild, dass er diesen Schockmoment verarbeitete, in dem er mit einem Campingbus durch die USA fuhr, um Abstand zu gewinnen. Daraus folgt der entscheidende Wendepunkt, nämlich Weizenbaums Abwendung von der Informatik. Dafür steht vor allem sein 1976 erschienenes kritisches Werk „Computer Power and Human Reason“, für das er erbitterten Widerspruch, aber auch viel Zuspruch erntete. Weizenbaum gefiel sich in der Rolle des Dissidenten und Mahners und weitete seine Kritik aus auf andere Themen: Krieg und Frieden, Datenschutz, Bürgerrechte, Klimaschutz.
Der letzte Wendepunkt ist seine Rückkehr nach Berlin, die er selbst nicht so nennen wollte und der eine lange Phase der (Wieder-)Annäherung an seine Herkunft vorausging. Hier wurde er noch einmal ‚Gründer‘, etwa beim Aufbau der Informatik an deutschen Hochschulen oder der Gründung des Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung.
All dies verbildlicht, dass Weizenbaums Leben nicht geradlinig verlief, sondern von Brüchen und Neuanfängen geprägt war. Das wollten wir in den Fokus rücken. Es fügt sich auch mit einem zentralen Motiv in Weizenbaums Schaffen, nämlich die Verantwortung des Einzelnen für sein Handeln.
Du bist ja selbst promovierter Historiker. Inwiefern hat Dir das bei der Ausstellung geholfen?
MB: Für mich war das ein sehr bereicherndes Projekt: Das Recherchieren von Quellen, ihre Kontextualisierung und das Entwickeln eines Narrativs, da war ich natürlich in meinem Element. Aber ich habe auch viel gelernt, über die Person Weizenbaum und die Geschichte der KI – viel mehr, als in diese Ausstellung eingehen konnte. Aber ich muss auch sagen: Das WI war ein toller Ort für diese Arbeit. Es war vieles da, an das wir anschließen konnten: Der Austausch mit Forschenden wie Christian Strippel, Magnus Rust und anderen, die zu Weizenbaum arbeiten; der Kontakt zu den Filmemachern von ilmare, die uns ihr umfangreiches Archiv zur Verfügung gestellt haben – und nicht zuletzt die tollen Kolleg:innen, die an dem Vorhaben mitgewirkt haben.
Am Ende der Ausstellung gibt es einige Beiträge von heutigen Wissenschaftler:innen. Was ist hier geplant? Wie geht es weiter?
MB: Die Beiträge unterstreichen die Bedeutung, die Weizenbaum auch heute noch für die Digitalisierungsforschung und die Informatik hat. Zugleich ist dieser Schlussabschnitt ein offener Ort, den wir in Zukunft weiter ergänzen und aktualisieren wollen. Alle, die Beiträge und Perspektiven ergänzen möchten, sind hiermit herzlich eingeladen, sich an uns zu wenden.
Zur digitalen Ausstellung:
"Pionier, Skeptiker, Aktivist: Wendepunkte im Leben von Joseph Weizenbaum"