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Technik statt Vertrauen?

Dezentrale Systeme wie Bitcoin erfreuen sich großer Beliebtheit, denn ihre Funktionsweise und die in ihnen gespeicherten Daten sind transparent. Erfordern solche Systeme deshalb kein Vertrauen mehr? Lässt sich Vertrauen zukünftig durch fehlerfrei arbeitende, blockchainbasierte technische Systeme ersetzen? Die Utopie und Faktizität einer vertrauenslosen Gesellschaft ist Gegenstand des folgenden Essays.

Vertrauen stellt eine zentrale Grundlage unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens dar: Nicht nur in unserem privaten Umfeld vertrauen wir Freund:innen, Partner:innen oder Verwandten. Auch Börsentransaktionen, politische Entscheidungen, unsere Rechtsordnung oder das Internet wären ohne das Verlassen auf Akteure und Institutionen undenkbar. Vor allem risikohafte Situationen, in denen man Erwartungen hinsichtlich des (unbekannten) zukünftigen Verhaltens anderer treffen muss, erfordern Vertrauen. In der digitalisierten Gesellschaft sind wir ständig mit solchen Situationen konfrontiert: So sind beispielsweise das Handeln auf Online-Plattformen oder die Partnersuche über Dating-Apps Situationen, in denen wir Fremde nur aufgrund ihres Profils und ihrer Bewertungen einschätzen können und auf deren wohlwollendes Verhalten wir vertrauen müssen. Vertrauen ist nach Niklas Luhmann ein „elementarer Tatbestand des sozialen Lebens“, ohne den die Unwägbarkeiten und Komplexitäten der modernen Gesellschaft kaum bewältigt werden könnten.

Forschungsgruppe „Vertrauen in verteilten Umgebungen“: (Von links) Martin Florian, Ingolf Pernice, Sophie Beaucamp, Sebastian Henningsen und Moritz Becker

Im Kontext der Digitalisierung mehren sich Stimmen, die vorschlagen, man könne Vertrauen durch den Einsatz von technologischen Systemen einsparen oder gar komplett durch sie ersetzen. Der Grundgedanke dabei ist, fehleranfällige und vertrauenserfordernde Handlungen von Menschen und Institutionen in größtmöglichem Maße durch fehlerfrei und deterministisch arbeitende Technik zu ersetzen. Vor allem die 2008 vorgestellte Blockchain-Technologie spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle: Laut dem unter seinem Pseudonym Satoshi Nakamoto bekannten Bitcoin-Erfinder erlaubt sie Transaktionen zwischen Individuen, „ohne dabei vertrauen zu müssen“. Ein Journalist des Economist formulierte 2015 sogar, Blockchain „schaffe Vertrauen“. Andere meinen, Blockchain-Technologie verändere die Natur des Vertrauens oder eliminiere seine Notwendigkeit und ermögliche eine Gesellschaft, die ohne Vertrauen auskommt. In einer solchen Gesellschaft würde Vertrauen obsolet werden, da alle Interaktionen zwischen Individuen exakt durch Technik geregelt würden, wie bei einer kybernetischen Maschine.

Kann (Blockchain-)Technologie das tatsächlich leisten? Sollten wir ihr vertrauen? Dass komplexe technische Systeme selten perfekt sind, können wir anhand unserer Forschung verdeutlichen. So haben wir beispielsweise eine Angriffsmöglichkeit auf Teilnehmer:innen des Ethereum-Netzwerks aufgedeckt. Ethereum, die zweitwichtigste Blockchain nach Bitcoin gemessen an der Marktkapitalisierung der ihr zugrundeliegenden Kryptowährung, erfreut sich insbesondere als Plattform für „Decentralized Finance“ großer Beliebtheit. Der Begriff steht für die Verbindung von klassischen Finanzkonzepten und -produkten, wie sie aus dem Bankwesen bekannt sind, mit der Blockchain-Technologie. Produkte, die hier aufgebaut werden, ermöglichen es beispielsweise Nutzer:innen, ihre Kryptowährung zu verleihen und dafür Zinsen zu erhalten. Durch die entdeckte Lücke konnten Teilnehmer:innen vom Rest des Netzwerks isoliert und virtuelles Geld gestohlen werden. In Zusammenarbeit mit den Entwickler:innen der Ethereum-Foundation wurde die Software, die dem Netz zugrunde liegt, „repariert“ und diese Schwachstelle somit weitestgehend geschlossen. Man sieht an diesem Beispiel, dass mindestens Vertrauen in die Hersteller:innen und Betreiber:innen der Technologie bestehen bleiben muss. Gleichzeitig offenbart es die Notwendigkeit für menschliche Interventionen, um das technische System in einem funktionalen Zustand zu halten.

Spätestens wenn technische Systeme zur Durchsetzung von Rechtsnormen eingesetzt werden, beispielsweise wenn Internet-Plattformen automatisiert Urheberrechtsverstöße erkennen und blockieren, sollte die Möglichkeit der menschlichen Intervention auch aus rechtlichen Gründen bestehen bleiben. Nehmen wir ein perfekt funktionierendes technisches System an, das Rechtsverletzungen schlicht unmöglich macht, stellt sich im Sinne des Namensgebers unseres Instituts Joseph Weizenbaum die Frage: Wäre der Einsatz von solch einem System überhaupt wünschenswert? Sollte das Vertrauen der Gesellschaft in die Rechtsbefolgung durch Bürger:innen (in Kombination mit einer ex post Möglichkeit der Durchsetzung) durch eine vollständige technische ex ante Durchsetzung ersetzt werden?

Im Kontext von ökonomischen Transaktionen scheinen viele Blockchain-Verfechter:innen dem weitgehend zuzustimmen oder nehmen eine technische Rechtsdurchsetzung zumindest in Kauf, um mehr „Dezentralisierung“ zu erreichen und damit als nicht vertrauenswürdig wahrgenommene Finanzdienstleister und (Zentral-)Banken zu entmachten. Unter dem Deckmantel von Decentralized Finance wird die subversive Grundidee von Bitcoin – digitales Geld jenseits staatlicher Kontrolle – auf eine breite Palette von Finanzdienstleistungen und -instrumenten ausgeweitet. Speziell beim Entwurf neuer Zahlungsmittel konzentrieren sich zahlreiche Innovationen. Während derzeit fast 6.000 sogenannte Kryptowährungen gehandelt werden, lassen sich diese als Alternativwährung jedoch kaum nutzen. Das vielleicht größte Hindernis liegt hier in der inhärenten Preisinstabilität. Das Fehlen klarer Bewertungskonzepte des inneren Werts der digitalen Tokens könnte hier zu destabilisierenden Handelsmustern an Börsen führen. Erste empirische Untersuchungen in unseren Arbeiten unterstützen diese These. 2019 veröffentlichten wir ein Papier zu praktischen Projekten zur Preisstabilisierung in Kryptowährungen. Es wurde deutlich, dass viele der untersuchten Projekte mit den technischen und ökonomischen Realitäten kämpfen. So ignorieren gut ein Drittel der 24 analysierten Projekte historisch erarbeitete wirtschaftswissenschaftliche Erkenntnisse und könnten Ziel spekulativer Wechselkursangriffe werden. Fast zwei Drittel nutzen, wie auch Facebooks Libra, das simple Verfahren der vollständigen Besicherung mittels traditioneller, finanzieller Werte. Die finanziellen Sicherheiten bleiben hier jedoch bei der ausschüttenden Gesellschaft oder traditionellen Banken hinterlegt – der Begriff „vertrauenslos“ wirkt eindeutig fehl am Platz.

Die Grenzen der „Vertrauenslosigkeit“ werden auch immer mehr Praktiker:innen bewusst. Interviews, die wir mit Entwickler:innen der Blockchain-Szene durchgeführt haben, zeigen vielmehr, dass Vertrauen als wichtiges Ele-ment bei der Umsetzung blockchainbasierter Systeme gesehen wird. Diese brauchen eine soziale Ebene und basieren zu einem wesentlichen Teil auch auf dem Vertrauen in die Community.

Es ist unwahrscheinlich und auch nicht wünschenswert, dass technische Systeme jemals komplett menschliches Vertrauen ersetzen werden. Gleichzeitig wird allerdings auch die symbolische Rolle von neuartiger Technik deutlich. Eine vertrauenslose Gesellschaft wird es wohl nie geben, aber als Mythos existiert sie schon jetzt. Im Rahmen beispielsweise der Blockchain-Community beflügelt sie zahlreiche Softwareentwickler:innen und Un-ternehmer:innen und motiviert Innovationen und ambitionierte Digitalisierungsprojekte, die fortschrittliche Ziele verfolgen, wie eine Arbeitserleichterung durch Automatisierung, technisch gewährleistete Transparenz oder die verbesserte Interoperabilität zuvor isolierter Teilsysteme. Unternehmungen also, die zu Verbesserungen führen können – und die ohne starke gemeinsame Mythen vielleicht nie zustande gekommen wären.