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Prof. Dr. Wolfgang Kerber: "Innovationen in volkswirtschaftlich und gesellschaftlich sinnvolle Bahnen lenken"

Prof. Dr. Wolfgang Kerber ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik an der Philipps-Universität Marburg und im Monat März als Senior Research Fellow zu Gast am Weizenbaum-Institut.

Herr Professor Kerber, worin sehen Sie die größten Herausforderungen der Digitalisierung?

Die Digitalisierung stellt den größten technologischen Wandel seit Jahrzehnten dar, der sowohl die Wirtschaft als auch die Gesellschaft in einer bisher schwer absehbaren Weise tiefgreifend verändern wird. Aus ökonomischer Sicht besteht die zentrale Herausforderung in der Anpassung des rechtlichen und regulatorischen Ordnungsrahmens an diesen äusserst schnellen technologischen und ökonomischen Wandel. Dies ist insofern wichtig, als der institutionelle Ordnungsrahmen gerade auch die Aufgabe hat, die vielfältigen technologischen und ökonomischen Innovationen in volkswirtschaftlich und gesellschaftlich sinnvolle Bahnen zu lenken. Zunehmende Fehlentwicklungen durch einen veralteten Rahmen werden immer deutlicher, beispielsweise im Umgang mit der Marktmacht von großen digitalen Plattformen. Gleichzeitig aber ist zu vermeiden, dass Innovationen im digitalen Bereich durch ungeeignete rechtliche Regeln und Regulierungen behindert werden. Diesem grundsätzlichen Problem kann aber nicht ausgewichen werden. 

Ihre Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in den Bereichen Wettbewerbspolitik, Recht des Geistigen Eigentums und Rechts- und Institutionenökonomik. Wie wichtig ist die Forschung auf den Gebieten?

Meine Forschung bezieht sich seit Jahren auf rechtliche und regulatorische Herausforderungen durch die Digitalisierung. Dabei beschäftige ich mich mit den Problemen der Marktmacht von großen digitalen Plattformen, mit der Governance von Daten – wem gehören Daten? Zugang zu Daten? Datenteilung? –, mit datengetriebenen Innovationen im digitalen Bereich, dem Schutz der Privatsphäre von Individuen und dem Verbraucherschutz. Für diese Fragen stellt die Wettbewerbspolitik, die Innovationsökonomie und die rechtsökonomische Analyse von Daten und Geistigen Eigentumsrechten eine zentrale ökonomische Ausgangsbasis für meine Forschung dar. Aus wirtschaftspolitischer Perspektive steht dabei immer die Frage nach einem möglichen Marktversagen und den sich daraus ergebenden Empfehlungen für beispielsweise Wettbewerbspolitik, der Ausgestaltung von Rechten an Daten, Datenschutz- und Verbraucherpolitik im Mittelpunkt.

Am Weizenbaum-Institut sind Sie Senior Research Fellow in der Forschungsgruppe „Daten als Zahlungsmittel“. An welchen Vorhaben werden Sie mit der Gruppe arbeiten?

Ich freue mich besonders, mit der Forschungsgruppe 4 direkt zusammenarbeiten zu können, weil sich diese bereits seit längerem aus einer rechtsökonomischen Perspektive mit der Funktionsfähigkeit von Datenmärkten und damit mit der Frage nach möglichen Marktversagensproblemen und notwendigen rechtlichen Regeln beschäftigt, beispielsweise bezüglich Datenzugang oder Datenschutz. Diese starke Überlappung mit meiner Forschung und die daraus folgenden Kooperationsmöglichkeiten sind auch bereits in einem gemeinsamen Doktorandenworkshop sehr deutlich geworden. Auch meine Weizenbaum Lecture "Consent without Choice: Market Power, Data Protection, and Competition Law" war eng mit dieser Thematik verbunden. Gleichzeitig bin ich aber auch sehr an der Kooperation mit anderen Forschungsgruppen interessiert, da die Frage des rechtlichen und regulatorischen Ordnungsrahmens auch direkt verknüpft ist mit vielen anderen Forschungsprojekten am Weizenbaum-Institut.

Welchen Mehrwert bietet das interdisziplinäre Arbeiten am Weizenbaum-Institut für Ihre Forschung?

Ich betreibe seit langem interdisziplinäre Forschung und habe als Ökonom mit Forscherinnen und Forschern aus den Rechtswissenschaften und anderen Sozialwissenschaften zusammengearbeitet. Gerade aufgrund des systemischen Charakters der Digitalisierung bin ich der festen Überzeugung, dass nur durch eine enge Kooperation zwischen IT-Experten, Juristen, Politikwissenschaftlern, Soziologen, Psychologen und Ökonomen eine fundierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Digitalisierung möglich ist. Jede einzelne Disziplin hat hierfür einen zu engen Blick, was ich auch für die Ökonomie bestätigen kann. Insofern erwarte ich gerade auch aus dem interdisziplinären Arbeiten am Weizenbaum-Institut einen wichtigen Mehrwert für meine Forschung.