Nutzung sozialer Medien – oder wenn aus Vielfalt Einfalt wird
2019 ist ein wichtiges Wahljahr: Neben der Europawahl sind die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg feste Termine im Kalender. Im Kampf um die Wählergunst nehmen Onlinemedien eine bedeutende Rolle ein. Gleichzeitig steigt die Sorge, dass Nutzer:innen im Internet nur Inhalte sehen, die ihrer politischen Meinung entsprechen. Eine Studie geht nun der Frage nach, welchen Einfluss nutzergenerierte Onlinemedien auf das Themenrepertoire haben.
In nur zwei Jahrzehnten hat das Internet die Zahl der Informationsquellen vervielfacht. Die öffentliche Meinungsbildung ist nicht mehr allein den klassischen Massenmedien Presse, TV und Radio vorbehalten. Ob in sozialen Netzwerken oder Blogs – heutzutage kann jede:r zum/zur Autor:in werden, Meinungen äußern, Forderungen formulieren. Doch während in den Massenmedien die Berichterstattung überwiegend journalistischen Qualitätskriterien folgt, werden in Onlinemedien Informationen häufig aus einem privaten, interessensgeleiteten Blickwinkel dargestellt.
Dr. Pablo Porten-Cheé leitet am Weizenbaum-Institut die Forschungsgruppe "Digital Citizenship"
Paradox der Online-Kommunikation
Wie beeinflusst die rapide Zunahme von Informationsquellen die öffentliche Meinungsbildung? Dr. Pablo Porten-Cheé, Forschungsgruppenleiter am Weizenbaum-Institut, sieht in diesem Zusammenhang ein Paradox vorliegen: „Einerseits wird davon ausgegangen, dass die Ausbreitung von Onlineangeboten zu einer größeren Themen- und Informationsvielfalt führt. Andererseits wird unterstellt, dass Nutzer:innen diese Themenvielfalt selbst einschränken, indem sie vornehmlich Inhalte konsumieren, die ihren Meinungen und Interessen entsprechen.“
Um empirische Hinweise für diesen augenscheinlichen Widerspruch zu finden, hat Porten-Cheé mit Prof. Dr. Christiane Eilders von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf eine Studie durchgeführt. Darin haben sie untersucht, wie es um die rezipierte Themenvielfalt von Nutzer:innen bestellt ist, wenn sie entweder klassisch dem massenmedialen Angebot oder dem nutzergenerierten Online-Angebot folgen. Grundlage der Studie sind Daten von mehr als 600 Teilnehmer:innen, die ihren Medienkonsum (Massen- und Onlinemedien) zu den Oberthemen Klimawandel und Bundestagswahl 2013 in einem Online-Tagebuch festgehalten haben.
Einfalt vs. Vielfalt
Die Ergebnisse der Studie bestätigen die These des Paradox. So konnten die Wissenschaftler:innen nachweisen, dass Massenmedien insgesamt weniger thematische Breite anbieten als nutzergenerierte Onlinemedien. Letztere sorgen somit für eine größere Themenvielfalt. Auf der Ebene der Nutzer:innen zeigt sich jedoch ein anderes, weniger optimistisches Bild. Porten-Cheé macht dies an einem Beispiel deutlich: „Jeder genutzte Beitrag aus allen Medien zum Klimawandel erhöhte grundsätzlich den Kontakt zu angrenzenden Themengebieten wie Umwelt, Wirtschaft oder Wissenschaft. Unsere Daten zeigen jedoch, dass der Kontakt mit Themenvielfalt via nutzergenerierten Onlinebeiträgen längst nicht so hoch ausfiel wie durch journalistische Beiträge.“
In anderen Worten: Auf der Angebotsebene erweitern Onlinemedien zwar die Vielfalt an gesellschaftlich verhandelten Themen, Nutzer:innen erhalten jedoch bei einem überwiegenden Konsum von nutzergenerierten Onlineinhalten genau das Gegenteil – sie schränken ihren Themenhorizont ein. Der Grund dafür ist, dass Nutzer:innen verstärkt Onlineinhalte auswählen und wahrnehmen, die zu ihrem Weltbild passen. Algorithmen, die das Onlineangebot entsprechend der vorherigen Nutzung zuschneiden (tailoring), wie etwa auf Facebook eingesetzt, fördern diesen Effekt zusätzlich.
Gesellschaftliche Verantwortung
Mit Blick auf die anstehenden Wahlen lassen sich Porten-Cheé zufolge zwei Forderungen aus den Ergebnissen ableiten: „Der gesellschaftliche Stellenwert von Massenmedien muss an Bedeutung gewinnen. Denn es sind vornehmlich die professionell hergestellten Nachrichten, die ein gemeinsames Verständnis darüber herstellen, was gemeinhin als relevante Themen und Informationen anzusehen sind.“ Gleichzeitig bedeute dies aber auch, dass die Gesellschaft für ihr Medienangebot eine Verantwortung trage und auch unter sich verändernden Nutzungsbedingungen auf das professionell erstellte Angebot, insbesondere öffentlich-rechtlicher Medien, achten und deren Nutzung fördern müsse.