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Kurz nachgefragt: Twitter schließt Academic Access-Schnittstelle. Was jetzt?

Was bedeutet es für die Digitalisierungsforschung, wenn Wissenschaftler:innen bald keinen Zugang mehr zu Daten der Plattform bekommen?

 

Twitter kommt nicht zur Ruhe. Seit der Übernahme des Kurznachrichtendienstes durch den exzentrischen Milliardär Elon Musk überschlagen sich die Ereignisse und technischen Pannen auf der Plattformen. Im Februar kündigte Twitter an, den bisher kostenfreien Zugang zur Plattformschnittstelle, kurz API (Application Programming Interface), einzuschränken und nur noch zahlenden Kunden zur Verfügung zu stellen. Das würde nicht nur das Ende der vielen nützlichen Twitterbots bedeuten, sondern stellt auch viele Wissenschaftler:innen auf der ganzen Welt vor große Unsicherheiten.

Wir haben nachgefragt bei Felix Gaisbauer. Hier am Weizenbaum-Institut forscht er zu öffentlichen Debatten auf Plattformen und wie diese computergestützt analysiert werden können.

 

Welche Bedeutung hatte die Twitter API bisher in der Digitalisierungsforschung?

Twitter war für Forschende bisher die Plattform zur Untersuchung von öffentlichen Debatten online, da dort alle Inhalte potenziell für alle anderen Nutzer*innen sicht- und kommentierbar sind. Außerdem wurde der Zugang zu diesen Daten durch die API in den letzten Jahren für Wissenschaftler:innen stetig erleichtert und verbreitert. Bei den meisten anderen Plattformen ist das nicht der Fall. Daher gab es Studien zu einer Vielzahl an Themen, zum Beispiel zu Online-Marketing, Echtzeitreaktionen auf Naturkatastrophen, Popkultur (etwa Sport) oder politischen Debatten. Auch wenn Twitter einer großen Bürger:innenversammlung am nächsten kommt, muss man aber einschränkend sagen, dass Twitter-Diskurse durchaus von Eliten dominiert werden und die User nicht repräsentativ für die Allgemeinbevölkerung sind.

In meiner Forschung zu Twitter geht es um Unterschiede in der Bereitschaft, sich dort öffentlich zu äußern, zum Beispiel welche Usergruppen besonders aktiv sind, und wer eher wenig twittert. Rund um die Landtagswahl in Sachsen 2019 beispielsweise konnte ich in Zusammenarbeit mit Kollegen zeigen, dass User, die hauptsächlich rechtspopulistische Inhalte geteilt hatten, viel eher dazu bereit waren, sich auf Twitter in Diskussionen mit anderen zu begeben. Zudem waren ihre Diskussionsbeiträge viel häufiger an User aus anderen politischen Lagern gerichtet als umgekehrt.

Wie wird die Forschung zu Twitter ab jetzt aussehen?

Das ist schwer zu sagen. Bisher konnten Wissenschaftler:innen über den Academic Access 10 Millionen Tweets im Monat herunterladen. Er soll innerhalb der nächsten 30 Tagen abgeschaltet werden und dann wird man für 100 Dollar im Monat nur noch auf 10.000 Tweets Zugriff haben – ein breiterer Zugang kostet wohl um ein Vielfaches mehr. Eine spezielle API für Forschende ist zumindest kurzfristig nicht verfügbar.

Mit Daten, die bereits heruntergeladen wurden, können wir weiterforschen. Die Deutsche Nationalbibliothek versucht gerade, das deutschsprachige Twitter durch Datenspenden zu archivieren; das könnte eine wichtige Initiative sein, um zukünftig Datenzugang für die Wissenschaft zu ermöglichen – doch es sind eben Daten aus der Vergangenheit.

Ergeben sich für euch Forderungen an die Politik, könnte hier der Digital Services Act der EU eine Rolle spielen?

Laut Digital Services Act ist Twitter eine „Very Large Online Platform“. Plattformen, die diese Definition erfüllen, müssen der Wissenschaft eigentlich Zugriffsrechte eines gewissen Umfangs auf ihre Daten gewähren. Der DSA tritt aber erst ab nächstem Jahr in Kraft, bis dahin wird Unsicherheit bestehen. Es wäre sicher wünschenswert, Twitter politisch dazu zu bewegen, auch in der Übergangsphase bis zum Inkrafttreten des DSA den wissenschaftlichen Zugang offen zu lassen. Spätestens ab Februar 2024 muss dies aber auf geordnete Weise geschehen.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Felix Gaisbauer ist Postdoctoral Researcher am Weizenbaum-Institut in der Forschungsgruppe „Dynamiken digitaler Nachrichtenvermittlung“. Er forscht zum Einsatz von computergestützten Methoden zur Erfassung öffentlicher Online-Debatten. 

Das Interview führte Leonie Dorn