„Im Globalen Süden ist offener Widerstand gegen schlechte Arbeitsbedingungen schwierig“
Ein Gespräch mit der Doktorandin Sana Ahmad
Große Internetdienstleister wie Facebook, Amazon, Twitter, Google oder Youtube beschäftigen weltweit Menschen, die Inhalte von Nutzer:innen filtern und gegebenenfalls löschen. Häufig wird diese Aufgabe in Billiglohnländer outgesourct. Ein Gespräch mit Sana Ahmad, Doktorandin der Forschungsgruppe „Arbeiten in hochautomatisierten digital-hybriden Prozessen“, die in Indien Menschen getroffen hat, die bereit waren, über die Arbeitsprozesse der kommerziellen Moderation von Inhalten zu sprechen.
In der Diskussion über soziale Medien ist das Löschen und Sperren von Inhalten ein besonders sensibles Thema. Dahinter verbirgt sich eine Tätigkeit, die „Content-Moderation“ heißt und die Sie erforschen. Was ist das genau, Frau Ahmad?
Die Ursprünge der Content-Moderation liegen länger zurück. Sie begann als ehrenamtlich betriebenes Community Management für textbasierte Social Communities im Internet. Im Zuge der Entwicklung der Social-Media-Unternehmen wurden dann professionelle Moderator:innen eingeführt, die die Aktivitäten von Nutzer:innen auf den Webseiten fördern sollten. Heute beschreibt der Begriff „Content-Moderation“ das Screening von nutzergenerierten Inhalten, die auf Internetseiten, in sozialen Medien und anderen Online-Formaten gepostet werden. Ein Großteil des aktuellen Diskurses über diese Einflussnahme auf Inhalte fokussiert sich auf soziale Medien. Es gibt ein solches Screening von nutzergenerierten Inhalten aber auch bei anderen Unternehmen, etwa bei Online-Händlern. Auf Social-Media-Plattformen wird Content-Moderation eingesetzt, um Nutzer:innen vor schädlichen Inhalten zu schützen, aber auch, um Kommunikationsaktivitäten aufrechtzuerhalten und so beispielsweise Werbeeinnahmen für die Unternehmen zu generieren.
Welche anderen Interessen als die Gewinnmaximierung zwingen Social-Media-Plattformen zur Content-Moderation?
Der politische Druck auf Social-Media-Plattformen, gepostete Inhalte zu regulieren, ist gewaltig. Manchmal ist das Einschreiten gegen bestimmte Inhalte sogar eine Voraussetzung für den Zugang zu Märkten. Andererseits stehen soziale Medien in der Kritik, weil sie heute einen wichtigen Teil der Öffentlichkeit darstellen und ihre Praktiken der Content-Moderation Einschränkungen der Meinungsfreiheit der Plattformnutzer:innen darstellen können.
Sie argumentieren in Ihrer Studie, dass die Content-Moderation von den Plattformen gezielt unsichtbar gemacht werde. Was meinen Sie damit?
Für Medien und Wissenschaft ist es sehr schwer, die Praxis der Content-Moderation zu durchschauen. Wir wissen mittlerweile, dass Social-Media-Plattformen diese Tätigkeit in großem Umfang an Auftragnehmer im Globalen Süden auslagern. Wir wissen aber sehr wenig darüber, nach welchen Regeln Content-Moderation funktioniert und wie die Arbeitsbedingungen der Content-Moderator:innen aussehen. Diese Arbeit wird gezielt unsichtbar gemacht. Die Social-Media-Firmen argumentieren, dass auf diese Weise die Identitäten der Content-Moderator:innen geschützt blieben und zugleich verhindert werde, dass Nutzer:innen versuchen, die Content-Moderation zu umgehen. Kritiker:innen halten dem entgegen, die Social-Media-Plattformen würden sich schlicht vor der Verantwortung, transparente Regeln aufzustellen und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu schaffen, drücken.
Wohin lagern Internetdienstleister ihre Content-Moderation aus und welche Faktoren entscheiden über die Standortwahl?
Indien und die Philippinen spielen eine wichtige Rolle, weil sie eine lange Tradition des Outsourcings von arbeitsintensiven IT-Dienstleistungen haben. Wir sehen jedoch auch in den USA oder in Deutschland Jobs für Content-Moderation, die meist eher schlecht entlohnt werden. Ein Großteil des Outsourcings der Content-Moderation ist auf jeden Fall durch die Suche nach niedrigen Lohnkosten motiviert. Die Tätigkeit der Content-Moderation ist stark standardisiert und daher relativ leicht outzusourcen. Sprachliche und kulturelle Kenntnisse der Arbeiter:innen bleiben jedoch wichtig.
Welche Art von Arbeitsplätzen sind in Indien aufgrund des Outsourcings der Content-Moderation entstanden? Und was sind das für Menschen, die dieser Tätigkeit nachgehen?
Es handelt sich hier um auch nach indischen Maßstäben niedrig entlohnte Dienstleistungen, die nur relativ geringe Qualifikationen erfordern. Dennoch haben die Content-Moderator:innen oft einen universitären Abschluss. In Indien ist aufgrund der Exportorientierung der IT-Dienstleistungsbranche die paradoxe Situation entstanden, dass die Unternehmen für ihre Niedriglohnjobs gerne höher qualifizierte IT-Kräfte einstellen, um Auftraggebern aus dem Globalen Norden zu imponieren. Da der indische IT-Arbeitsmarkt hauptsächlich aus solchen schlecht entlohnten Jobs mit geringen Qualifikationsanforderungen besteht, haben die Absolventen kaum eine Wahl. Meist bewerben sie sich für diese Arbeit, ohne viele Informationen über die Aufgaben zu haben, die sie erledigen müssen. Sie müssen Vertraulichkeitsvereinbarungen unterschreiben und werden daran gehindert, über ihre Arbeit zu sprechen.
Wie sieht die Arbeit der Content-Moderator:innen konkret aus?
Wie am Fließband bekommen die Content-Moderator:innen Inhalte angezeigt, die sie nach einem streng vorgegebenen Verfahren und unter enormem Zeitdruck bearbeiteten müssen. Oft sind diese Inhalte belastend und sie haben kaum Möglichkeiten, Arbeitstempo und auch Arbeitsweise selbst zu bestimmen. Die Fluktuationsrate ist sehr hoch und viele Beschäftigte berichten von psychischen Problemen. Unter diesen Bedingungen und mit dem steigenden Wettbewerbsdruck ist der Spielraum für eine Aufwertung der Aufgaben, aber auch für die effektive Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten und sozialer Absicherung stark eingeschränkt.
Wie kommen die Content-Moderator:innen mit dem Druck, den Sie beschreiben, zurecht?
Wir wissen aus der Forschung, dass es für Arbeiter:innen im Globalen Süden oftmals schwierig ist, offen Widerstand gegen schlechte Arbeitsbedingungen zu leisten. Dennoch sind die indischen Content-Moderator:innen nicht passiv. Meine Forschung zeigt, dass die Arbeiter:innen auf vielfältige Weise versuchen, sich etwas Autonomie und Entwicklungsmöglichkeiten zu sichern. So sprechen sie sich oftmals im Team über ihr Arbeitstempo ab, um den Druck zu verringern. Sie beschweren sich, wenn Vorgesetzte sie nicht respektvoll behandeln. Und sie investieren selbst Zeit und Geld in ihre Weiterbildung, da die Unternehmen das nicht machen. Die Hoffnung ist, dass sie sich dadurch Aufstiegswege erschließen, etwa wenn Firmen gut qualifizierte Content-Moderator:innen als lokale Expert:innen für die Märkte des Globalen Südens suchen.
Welche Erfahrungen haben Sie als Forscherin in Indien gemacht? Wie schwer war es, hinter die Kulissen der Content-Moderation blicken zu können?
Ich habe mit Manager:innen indischer Unternehmen, Content-Moderator:innen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen gesprochen. Diese Feldarbeit war von großer Bedeutung, weil wir sehr wenig empirische Daten über Content-Moderation haben. Die größte Herausforderung war, überhaupt Zugang zu den Content-Moderator:innen zu bekommen. Es handelt sich dabei nicht um eine offizielle Berufsbezeichnung, deshalb ist es schwer, diese Menschen zu finden. Ich habe im Internet nach relevanten Profilen gesucht und Unternehmen und Menschen angeschrieben. Auffällig war, dass niemand aus dem Management globaler Social-Media-Unternehmen mit mir sprechen wollte – Content-Moderation ist dort topsecret. Es gelang mir erst nach langer Suche und mit viel Überzeugungskraft, indische Unternehmen und ihre Beschäftigten für Interviews zu gewinnen, da es ihnen offiziell verboten ist, über diese Arbeit zu sprechen. Ein Problem sind auch die schwachen Gewerkschaften und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Unternehmen fühlen sich einfach nicht gezwungen, Arbeitnehmerbelange zu berücksichtigen. Deshalb musste ich besonders darauf achten, die Anonymität der Interviewten zu gewährleisten, sowohl während als auch nach der Datenerhebung.
Ihre Forschung liegt an der Schnittstelle zwischen Arbeitssoziologie und Kommunikationswissenschaften. Welcher Disziplin fühlen Sie sich mehr zugehörig?
Social-Media-Plattformen haben einerseits die Funktion, Kommunikation im Internet zu organisieren. Um ihre Rolle hier zu verstehen, ist die Perspektive der Kommunikationswissenschaften wichtig. Zugleich sind sie Arbeitgeber der Content-Moderator:innen und die Art und Weise, wie sie diese Arbeit steuern, kontrollieren und die Bedingungen gestalten, ist ein klassisches Thema der Arbeitssoziologie. Auch wenn es nicht immer leicht ist, diese zwei doch sehr unterschiedlichen akademischen Welten aufeinander zu beziehen, versuche ich in meiner Untersuchung, beide Perspektiven zusammenzubringen.
Vielen Dank für das Gespräch.