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Die Zukunft der Kreativität

Aufsatz erklärt, wie Digitalisierung im Kontext der Maker-Bewegung kreative Prozesse verändert

Die fortschreitende Digitalisierung und Entwicklung moderner Werkzeuge wie 3D-Druckern haben dazu geführt, dass Innovationen immer häufiger in offenen Werkstätten, Hackerspaces und FabLabs entstehen. Hier treffen sich  Maker – digitale Bastler:innen, die gemeinsam mit anderen Do-it-Yourself-Projekte verwirklichen. In einem nun veröffentlichten Artikel in der Fachzeitschrift Communications of the ACM analysiert Weizenbaum-Direktor Sascha Friesike zusammen mit Frédéric Thiesse (Universität Würzburg) und George Kuk (Nottingham Business School) am Beispiel der Maker-Community, wie die Digitalisierung den kreativen Schaffensprozess beeinflusst. Ihre Arbeit diskutiert, wie Maker-Plattformen die Art und Weise verändern, wie Ideen ausgedrückt, kuratiert und letztlich auch umgesetzt werden.

Im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojekts, das den Gebrauch von 3D-Druckern in der Maker-Community untersuchte, befragten die Autoren Maker nach ihren Beweggründen, ein bestimmtes Projekt in Angriff genommen zu haben. Die Antworten zeigen, dass kreative Prozesse entweder durch ein Problem oder durch Neugier ausgelöst werden. Während im ersten Fall der Gestaltungsprozess dazu dient, für ein konkretes Problem einen Lösungsansatz zu entwickeln, sind im zweiten Fall Neugier und der Spaß am kreativen Schaffen die ausschlaggebenden Motive für die Aufnahme eines Projekts. Unabhängig vom zugrundeliegenden Motiv definieren die Autoren drei Phasen, die in einem Kreativprozess durchlaufen werden: die Inspirationsphase, die Distributionsphase und die Iterationsphase.

Inspirationsphase

Die Inspirationsphase fragt nach dem Ursprung einer Idee. In der Maker-Community ist hier das Konzept des Remixen zentral, also das Erweitern, Adaptieren und Zusammenführen bestehender Arbeiten, die beispielsweise unter einer freien Lizenz verfügbar sind. Beim Gestaltungsprozess identifizieren die Forscher zwei Arten des Remixen – das additive und das subtraktive Remixen. So werden verschiedene Ideen entweder miteinander kombiniert und so etwas Neues geschaffen (additiv), oder es werden Elemente aus bestehenden Arbeiten entfernt, um den Fokus auf eine bestimmte Komponente zu richten (subtraktiv). Ein Beispiel für additives Remixen ist in Abbildung 1a zu sehen. Der Maker Karr bediente sich an den Maskottchen der Republikanischen und der Demokratischen Partei und druckte sie auf eine Münze. Das Remixen wird aber auch verwendet, um Wissen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzuführen. So übertrug der Maker skarab die Idee von Pflanzenschildern in den Bürokontext und entwickelte daraus Lesezeichen, die an Dokumente, Zeitschriften und Bücher angeheftet werden können (siehe Abbildung 1b). 

Links: Eine Münze*, die mit den Maskottchen der Republikanischen Partei und der Demokratischen Partei bedruckt wurde**. Rechts: Pflanzenschilder***, die zu Lesezeichen weiterentwickelt wurden****.

Distributionsphase

In der Distributionsphase wird eine Idee bis zum fertigen Produkt entwickelt. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass am Ende nur die wenigsten Ideen die Marktreife erreichen. In einigen Branchen wie der Konsumgüterindustrie liegen die Misserfolgsquoten bei über 50 Prozent. Dies ist in der Maker-Community nicht anders. Allerdings, so stellen die Autoren fest, passen sich Maker den Bedingungen besser an und suchen relativ früh im Entwicklungsprozess den Kontakt zu Anwender:innen. Während im analogen Zeitalter viele Kreative keine Möglichkeit hatten, vor dem Markteintritt ihr Produkte testen zu lassen, laufen in der Maker-Szene Entwicklung und Verbreitung gleichzeitig ab. Online-Plattformen ermöglichen es den Makern, frühzeitig ihre Entwicklungen  zu vertreiben, und bieten ihnen gleichzeitig einen Kanal, um Feedback einzuholen. Noch bevor hohe Produktionskosten anfallen, können Maker auf diese Weise überprüfen, ob ihre Idee überhaupt den Bedarf eines Publikums adressiert.

Feedback und Iterationen einer Vogelpfeife auf der 3D-Druck-Plattform Thingiverse*

Iterationsphase

In der Iterationsphase werden Design und Konzept des Produkts stetig verbessert. Dazu ist der Austausch mit Nutzer:innen unerlässlich. Dieser dient vor allem zwei Zwecken: Zum einen kann durch Interaktion mit Nutzer:innen eine kontinuierliche Anpassung des Produkts entsprechend ihrer Bedürfnisse erfolgen. Zum anderen ermöglicht das frühzeitige Einholen von Feedback den Makern, ihre kreative Arbeit zu beschleunigen. Der kreative Prozess wird dadurch zielgerichteter und effizienter. Der Maker AdamStag entwickelte beispielsweise 18 Versionen einer Vogelpfeife und reagierte damit auf verschiedene Nutzerkommentare, wodurch er das Produkt stetig verbesserte. Nutzer:innen fragten zum Beispiel nach Wasserstandsmarkierungen, um die Pfeife intuitiver zu machen, eine Funktion, die AdamStag umgehend umsetzte (siehe Abbildung 2).

Friesike, Thiesse und Kuk kommen zu dem Schluss, dass der Gestaltungsprozess nicht mit dem Verbreitung eines Produkts endet. Vielmehr müssten kreative Schaffensprozesse neu gedacht werden. Indem die Maker-Szene offen mit Kreativität experimentiert, bietet sie eine ideale Umgebung, um diese Prozesse besser zu verstehen. Aber auch in anderen Bereichen wird mit Kreativität experimentiert. Die Autoren verweisen unter anderem auf den Rap-Musiker Kanye West, der sein Album „Life of Pablo“ nach der offiziellen Veröffentlichung nochmals überarbeitete und als eine lebende, atmende, wechselnde kreative Ausdrucksform bezeichnete. Da immer mehr Produkte die digitale und physischen Welt miteinander verbinden, sagen die Wissenschaftler für die Zukunft eine zunehmende Digitalisierung von Kreativprozessen voraus. Vor diesem Hintergrund sprechen sie sich dafür aus, zu erforschen, wie neue Technologien, die mit Konzepten aus dem Bereich der Softwareentwicklung und der Start-up-Szene kombiniert werden, Gestaltungsprozesse erneuern können.
 



Der Aufsatz „What Can the Maker Movement Teach Us About the Digitization of Creativity?“ von Sascha Friesike, Frédéric Thiesse und George Kuk ist in der Fachzeitschrift Communications of the ACM erschienen.