Nachhaltigkeit datengetrieben prüfen – geht das?
Wie können Unternehmen überprüfen, ob sie im Sinne der EU-Taxonomie-Verordnung nachhaltig gewirtschaftet haben? Wissenschaftler.innen der Forschungsgruppe „Sicherheit und Transparenz digitaler Prozesse“ haben dafür eine Methode entwickelt, die hilfreich sein könnte.
Um auf die Herausforderungen des Klimawandels zu reagieren und nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu fördern, stellte die EU-Kommission 2018 einen „Aktionsplan zur Finanzierung von nachhaltigem Wachstum“ vor. Ein zentrales Element dieses Plans ist die EU-Taxonomie-Verordnung, die seit dem 1. Januar 2022 in Kraft ist und beschreibt, wann genau Geschäftspraktiken als nachhaltig gelten. Nachhaltigkeit ist für Unternehmen also nicht nur ein Thema ethischer oder sozialer Verantwortung, sondern direkt mit finanziellen Entscheidungen verbunden: Geschäftsmodelle, Produktionsprozesse und Investitionen müssen unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit überdacht und gegebenenfalls angepasst werden.
Doch wie kann ein Unternehmen überprüfen, ob es nachhaltig gewirtschaftet hat? Darüber haben wir mit dem Wissenschaftler Finn Klessascheck gesprochen. Er und Mitglieder aus der Forschungsgruppe „Sicherheit und Transparenz digitaler Prozesse“ haben eine Methode entwickelt, die Unternehmen darin unterstützen könnte, ihre Nachhaltigkeit effizient zu überprüfen.
Ihr habt euch im Rahmen eurer Forschung mit der EU-Taxonomie-Verordnung beschäftigt. Warum?
Nachhaltigkeit wird in der Zukunft aufgrund des Klimawandels eine immer größere Rolle spielen. Daher ist es wichtig, dass Unternehmen verstehen, welchen Einfluss sie auf die Umwelt haben. Zudem gibt es mittlerweile klare Regeln, die vorschreiben, was Unternehmen tun dürfen und was nicht, wenn es um nachhaltiges Wirtschaften geht. Die EU-Taxonomie gibt dafür Rahmenbedingungen vor.
Da Nachhaltigkeit bisher eher manuell geprüft wurde, haben wir mit Expert:innen gesprochen und überlegt, ob es nicht auch möglich wäre, diese Prüfungen datenbasiert durchzuführen. Anfangs gab es Zweifel daran, aber unsere Arbeit zeigt, dass es durchaus möglich ist, einige Aspekte der EU-Taxonomie für bestimmte Wirtschaftsfelder und Sektoren datengetrieben zu überprüfen. Wir haben uns auf die Sektoren Energiegewinnung und -fertigung, Transport, Abwasser- und Abfallwirtschaft sowie die Forstwirtschaft konzentriert.
Welche Methode habt ihr angewandt, um die Vorschriften der EU-Taxonomie datengetrieben zu prüfen?
Wir haben ein Sprachmodell (Generative Künstliche Intelligenz) verwendet, um die genauen Vorschriften der EU-Taxonomie zu analysieren. Dabei haben wir ein Open-Source-Modell genutzt, das von Meta entwickelt wurde. Diesem Modell haben wir die Vorschriften in kleinen „Häppchen“ verabreicht und gleichzeitig beschrieben, wie bestimmte Arten von Regeln aussehen könnten, die wir mit unseren Methoden automatisiert überprüfen können.
Die Antworten des Modells haben wir dann in Zahlen übersetzt, die uns zeigen, wie viele Vorschriften wir datenbasiert überprüfen können und wie viele nicht. Anschließend haben wir geprüft, ob diese Ergebnisse plausibel sind, indem wir einen Teil der Vorschriften genauer untersucht haben.
Der nächste Schritt wäre, die überprüfbaren Vorschriften in ein formales System zu übertragen. Danach können wir überprüfen, ob das, was in den Vorschriften steht, tatsächlich mit dem übereinstimmt, was Unternehmen in ihrer täglichen Arbeit tun.
Zu welchem Ergebnis seid ihr gekommen?
Unsere Untersuchung zeigt, dass wir in der Lage sind, für viele Bereiche der EU-Taxonomie und für verschiedene Wirtschaftsaktivitäten diese Art der Überprüfung einzusetzen. Damit können wir feststellen, wie nachhaltig Unternehmen im Sinne der Taxonomie wirklich arbeiten.
Wir haben herausgefunden, dass über 80 % der von uns identifizierten Vorschriften für eine automatisierte Überprüfung genutzt werden könnten. Außerdem konnten wir zeigen, dass diese Methode funktioniert und Unternehmen sowie Expert:innen unterstützen kann. Unternehmen können auf Basis unserer Ergebnisse damit beginnen, die notwendigen Daten zu sammeln, um eine automatisierte Überprüfung zu ermöglichen. Bisher war nicht klar, welche Daten sie dafür erfassen müssen.
Die Verwendung von Sprachmodellen für solche Überprüfungen ist zwar nicht neu, aber der Schritt, die Vorschriften vorher genau zu analysieren, war bisher kaum vorhanden – besonders im Bereich der EU-Taxonomie ist das ein völlig neuer Ansatz im Geschäftsprozessmanagement.
Auf welche Herausforderungen seid ihr gestoßen?
Eine Schwierigkeit bestand darin, dass wir keine Expert:innen im Bereich der Regulierungen sind. Wir konnten auch nicht genau zeigen, wie die Vorschriften in ein formales Modell übersetzt werden können, aber dafür gibt es bereits bekannte Techniken.
Ein weiteres Problem ist, dass Sprachmodelle manchmal sehr überzeugend klingen können, aber trotzdem falsch liegen. Das macht ihre Verwendung in solchen regulatorischen Bereichen nicht ganz unproblematisch. Wir haben versucht, dieses Risiko zu verringern, indem wir uns an bewährte Standards und Best Practices aus der Forschung gehalten haben.
Wie geht’s weiter?
Unser nächster Schritt ist es, den fehlenden Teil des Prozesses abzuschließen: Wir wollen für ein bestimmtes Unternehmen, das eine konkrete wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, die relevanten Vorschriften der EU-Taxonomie identifizieren und diese dann in ein formales Modell übersetzen. Ziel ist es, unseren Ansatz in der Praxis anzuwenden und zu zeigen, dass er echten Mehrwert bringt. Außerdem könnten wir diesen Ansatz gemeinsam mit Expert:innen aus dem Bereich der Taxonomie weiter überprüfen und verfeinern.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Edith Ottschofski.
Eine Vorabversion des Papers „Unlocking Sustainability Compliance: Characterizing the EU Taxonomy for Business Process Management“ finden Sie hier.