Datenarbeiter:innen im Dialog mit dem EU-Parlament
Weizenbaum-Forscherin Milagros Miceli sprach gemeinsam mit Datenarbeiter:innen bei einer Anhörung in Brüssel über die prekären und ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in der KI-Branche.
Am 21. November sind erstmals Datenarbeiter:innen mit dem Europäischen Parlament in den Dialog getreten. Die Anhörung vor Parlamentariern unter dem Namen (Un)Artificial Intelligence: Workers Behind the Machine fand auf Einladung von Leïla Chaibi, Abgeordnete der Fraktion The Left statt und wurde von Milagros Miceli, Leiterin des Data Workers Inquiry Projekts am Weizenbaum-Institut, und Antonio Casilli (Professor für Soziologie am Polytechnic Institute of Paris und Wissenschaftler am CNRS) organisiert. Sie sind Teil des EnCOre Projekts (European Microworkers Communication & Outreach), das Datenarbeiter:innen mehr Gehör verschaffen will.
Zu Beginn stellten Milagros Miceli und Antonio Casilli den Policy-Report Who Trains the Data for European Artificial Intelligence? vor. Der Bericht ist aus einer Kooperation des Weizenbaum-Instituts, DiLab und dem DAIR Institute entstanden.
Casilli berichtete von denen in der Studie erfassten Datenflüssen und -lieferketten aus dem Globalen Süden, wo Daten bereinigt, erstellt oder gekennzeichnet werden, zu Unternehmen im Globalen Norden, wo sie in Chatbots oder andere KI-Anwendungen einfließen. Daten für US-amerikanische Software stammen zum Beispiel aus Südost-Asien oder Lateinamerika, Daten aus Subsahara-Afrika fließen häufig nach Frankreich und Israel. Ermöglicht wird das einerseits durch Business Process Outsourcing. Dabei übernehmen Firmen, die Datenarbeit für große KI-Unternehmen wie OpenAI, Meta oder Plattformen wie MTurk, auf denen Unternehmen solche MikroTasks anbieten. Angesichts der großen Abhängigkeit der KI-Branche von dieser Zuarbeit ist es erstaunlich, dass Datenarbeiter:innen bei der Ausformulierung der europäischen KI-Verordnung nicht eingebunden wurden, mahnte Antonio Casilli an.
Trotz globaler Lieferketten gibt es auch eine Vielzahl an Datenarbeiter:innen in Europa, erläuterte Miceli. Die Studie aus neun EU-Ländern zeigt, dass die meisten von ihnen jung und sehr gut ausgebildet sind. Bei einem Durchschnittsalter von 30 Jahren sind viele von ihnen Studierende, die Mehrzahl ist männlich. 20 % der Arbeiter:innen sind Migrant:innen, noch höher ist der Anteil von Personen aus Familien mit Migrationsgeschichte. Sie alle, egal wo und in welchem Arbeitsverhältnis, bezeugen höchst prekäre und ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Berichtet wird von Lohndiebstahl, Unterbezahlung und Überwachung bis hin zu starken psychischen Leiden und posttraumatischen Störungen.
Nach diesem Einblick in die Gesamtsituation europäischer Datenarbeiter:innen sprach erstmals eine Delegation von Data Workers über ihre persönlichen Erfahrungen im EU-Parlament: Oskarina Fuentes aus Venezuela, Donatella Delpiano aus Italien, Yasser Al Rayes aus Syrien und Nacho Barros aus Spanien. Milagros Miceli las zudem einen Brief von Arbeiter:innen aus Deutschland vor, die für Telus International in der Content Moderation für Meta arbeiten. Sie alle berichten, dass sie oft verstörenden Inhalten ausgesetzt sind, um die Plattformen sicher und sauber zu halten. Doch angesichts strikter Verschwiegenheitserklärungen dürfen sie sich keine psychotherapeutische Hilfe suchen. Sie erzählen, dass ein Großteil ihrer Arbeit von einem Programm gemanaged wird, das ihre erledigte Arbeit manchmal ohne Erklärung einfach als mangelhaft ablehnt. Sie selbst werden dann nicht bezahlt, aber die Kunden können die erstellten Daten trotzdem behalten. Die Leistung der Arbeiter:innen wird akribisch überwacht, sie leisten unbezahlte Überstunden, doch die gewonnene Arbeitserfahrung kann aufgrund der Verschwiegenheitsklauseln nicht auf dem Lebenslauf erwähnt werden. Gleichzeitig befinden sich die Dataworker:innen in einem Abhängigkeitsverhältnis, denn für viele ist der Arbeitsvertrag mit ihrem Aufenthaltsstatus oder Visa verknüpft, erläutert Miceli.
Nacho Barros, Datenarbeiter aus Spanien, fasst die Situation so zusammen: „Das Problem ist nicht, dass KI uns die Jobs wegnehmen wird, sondern dass wir wie Sklaven für KI arbeiten werden.“
Forderungen zur Verbesserung ihrer Situation haben die Arbeiter:innen viele. Damit beschäftigte sich das abschließende Panel der Veranstaltung. Antonio Casilli, Krystal Kauffman und Dylan Baker diskutierten die Rolle von Gewerkschaften – und wie wichtig (und gleichzeitig schwierig) es ist, Solidarität zwischen Software-Entwickler:innen und Datenarbeiter:innen herzustellen. Über die Ziele waren sich die Beteiligten einig: Es braucht weltweite Standards für und eine gerechte Bezahlung von Datenarbeit, Anerkennung und Sichtbarkeit der Expertise von Datenarbeiter:innen, Priorität für psychische Versorgung und ein Ende der Überwachung am Arbeitsplatz.
Zur Aufzeichnung der Anhörung auf YouTube
Zum Programm der Veranstaltung
Zum Policy-Report Who Trains the Data for European Artificial Intelligence?
Zum Interview mit Milagros Miceli
Im Projekt The Data Workers Inquiry werden Datenarbeiter:innen aus aller Welt zu Wissenschaftler:innen. Sie berichten in verschiedensten Formaten über ihre Arbeit und die ihre Kolleg:innen. Zum Projekt