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Das Bild zeigt eine demonstrierende Menschenmenge, die ihre Hände in die Luft heben.
Das Bild zeigt eine demonstrierende Menschenmenge, die ihre Hände in die Luft heben.

Trotz Corona-Pandemie – Politisches Engagement bleibt in Deutschland stabil

Weizenbaum-Studie zeigt: Bürger:innen übernehmen Verantwortung im Kampf gegen Hassrede und Falschnachrichten im Netz

Trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie ist im Jahr 2020 das gesellschaftliche und politische Engagement in Deutschland auf einem hohen Niveau geblieben: Die Mehrheit der Bevölkerung zeigt Interesse an politischen Themen (89 Prozent) und befürwortet demokratische Prozesse, Institutionen und Normen (77 Prozent). Allerdings ist die politische Partizipation in Deutschland ungleich verteilt. So sind es vor allem Menschen mit hohem Bildungsniveau, die stärker am politischen Prozess teilhaben. Diese Befunde liefert eine repräsentative Längsschnittuntersuchung der Forschungsgruppe „Digital Citizenship“ des Weizenbaum-Instituts. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass den Bürger:innen eine demokratische Debattenkultur wichtig ist und sie diese immer häufiger verteidigen, indem sie gegen Hassrede und Falschnachrichten im Netz vorgehen.

Die Studie basiert auf einer repräsentativen Umfrage von rund 950 Personen, die im Herbst 2020 zum zweiten Mal durchgeführt wurde. Ziel der Untersuchungsreihe ist es zu erfassen, wie sich die Nutzung digitaler Technologien langfristig auf die Demokratie auswirkt. „Das Design unserer Studie sieht vor, dass wir bei jeder Befragungswelle mit denselben Personen sprechen“, erklärt Martin Emmer, Principal Investigator der Forschungsgruppe. „Dadurch ist es uns möglich, Veränderungen im politischen und sozialen Engagement der Deutschen im Zeitverlauf besser nachzuvollziehen. Da sich alle Fragen auf den Zeitraum zwischen Dezember 2019 und Dezember 2020 beziehen, gibt uns die Studie zudem Aufschluss darüber, ob und wie stark die Partizipation durch die Corona-Maßnahmen beeinträchtigt wurde.“

Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das politische und soziale Engagement

Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens durch die Corona-Pandemie haben überraschend wenig Einfluss auf das gesellschaftliche und politische Engagement in Deutschland. Die Veränderungen gegenüber 2019 sind bei Aktivitäten wie Spenden, Teilnahme an Demonstrationen oder Mobilisierung anderer eher gering. Anders sieht es jedoch im sozialen Bereich aus. Die Mitarbeit in sozialen Organisationen ist im Vergleich zum Vorjahr bei Personen bis 35 Jahre um fast 10 Prozent (von 45 auf 36 Prozent) zurückgegangen. Ein langfristiger Trend, der sich in allen Altersgruppen abzeichnet, ist der Bedeutungsverlust von Parteien. Gaben 2019 noch 13 Prozent der Befragten an, Mitglied einer Partei zu sein, waren es 2020 nur noch 7 Prozent.

Die Teilhabe am politischen Geschehen ist aber auch vom Bildungsniveau abhängig. So engagierten sich im Jahr 2020 Personen mit höherem Bildungsabschluss (Abitur und höher) in fast allen Bereichen deutlich stärker als Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen (max. Hauptschulabschluss): beim Teilen von Inhalten in sozialen Medien (36 zu 19 Prozent) sowie bei der Beteiligung an Boykotten (77 zu 38 Prozent) und Petitionen (63 zu 39 Prozent). Ausgewogener ist das Verhältnis bei formalisierten Aktivitäten wie Parteimitgliedschaft (9 zu 7 Prozent), Kontaktaufnahme mit Politiker:innen (36 zu 30 Prozent) oder Mitarbeit in sozialen Organisationen (41 zu 35 Prozent).

Problembewusstsein für Hassrede und Falschnachrichten

In den letzten Jahren ist Hassrede im Netz zunehmend zu einer Gefahr für Demokratien geworden. Im Jahr 2020 ist rund die Hälfte der Internetnutzer:innen (51 Prozent) mit Hasskommentaren in Kontakt gekommen. Dieser Anteil ist gegenüber dem Vorjahr (54 Prozent) weitestgehend konstant geblieben. Verändert hat sich hingegen die Art und Weise, wie Menschen auf Hassrede reagieren. Sowohl im Jahr 2020 als auch 2019 gab ein Drittel der Internetnutzer:innen an, Hassrede bei Plattformbetreibern gemeldet zu haben. Dabei traten 2020 mehr Menschen Hassbeiträgen aktiv entgegen, indem sie beispielsweise in die Debatte eingriffen und zum respektvollen Diskutieren aufriefen (41 zu 27 Prozent, ein Teil des Anstiegs geht auf eine leicht andere Frageformulierung zurück). 

39 Prozent der befragten Internetnutzer:innen sind im Jahr 2020 im Netz in Kontakt mit Falschnachrichten gekommen. Davon haben 65 Prozent andere vor solchen Inhalten gewarnt, 27 Prozent haben anschließend Falschnachrichten bei Plattformbetreibern gemeldet. „Indem Bürger:innen aktiv werden gegen Hassreden und Falschnachrichten, versuchen sie nicht nur, sich selbst und andere vor diesen Inhalten zu schützen“, so Martin Emmer. „Durch ihr Eingreifen möchten sie auch zu einer zivilen, fairen und demokratischen Debattenkultur beitragen.“ Dies zeigt sich auch in der Unterstützung von geteilten Normen für bürgerschaftliches Verhalten.

Bürgernormen genießen große Akzeptanz

Bürgerschaftliche Normen finden auch 2020 breite Unterstützung in der Bevölkerung. Gemeint sind damit gesellschaftlich geteilte Vorstellungen, wie sich gute Bürger:innen in einer Demokratie verhalten sollen. Während Aktivitäten wie die Teilnahme an Bundestagswahlen (85 zu 79 Prozent) oder das Verfolgen von politischen Themen in den Medien (57 zu 52 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr als etwas wichtiger eingeschätzt wurden, wurde der Teilnahme an politischen Demonstrationen etwas weniger (17 zu 13 Prozent) Bedeutung beigemessen.

Die Bürger:innen befürworteten vor allem Normen, die eine demokratische Diskussionskultur in der digitalen Welt fördern. Dazu gehören die Unterstützung für einen respektvollen Umgang bei politischen Diskussionen (87 Prozent), der Bezug von Informationen aus seriösen Quellen (79 Prozent) und das Bekämpfen von Hass und Hetze (77 Prozent). Die Unterstützung für diese internetbezogenen Normen ist bei Älteren stärker ausgeprägt als bei Jüngeren.