de / en
Roll-up mit Visual

Digitale Souveränität: Weizenbaum-Institut diskutiert über Wege in eine offene und gerechte Zukunft der digitalen Welt

Rund 300 Teilnehmer:innen aus Wissenschaft, Kunst, Aktivismus und Zivilgesellschaft diskutierten auf der vierten Weizenbaum-Konferenz über Alternativen für eine offene und gerechte Gesellschaft. Die Konferenz fand unter dem Titel „Practicing Sovereignty. Interventions for open digital futures“ am 9. und 10. Juni 2022 in der „Alten Münze“ unweit des Roten Rathauses in Berlin statt.

Mario Brandenburg

Themen der Vorträge und Diskussionen waren Digital Literacy und Ungleichheit, die Autonomie des Wissenschaftssystems, der Zusammenhang zwischen Datafizierung und Demokratie sowie die Frage, was „digitale Souveränität“ bedeutet und wo ihre Grenzen liegen. In Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung wurden außerdem Workshops angeboten, etwa zur „Cities Coalition for Digital Rights“, in der sich weltweit 50 Städte engagieren, um gemeinsam digitale Politik im urbanen Kontext neu zu gestalten.

Mario Brandenburg, kürzlich zum Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung ernannt, eröffnete mit seiner ersten Rede im neuen Amt die Konferenz. Er betonte den Wert des internationalen Austauschs in der Wissenschaft und europäischer Initiativen für die digitale Souveränität.

Berlins Wissenschafts-Staatssekretärin Armaghan Naghipour ging in ihrer Begrüßung auf die Vorreiterrolle Berlins in der digitalen Transformation ein, mit der Zusammenarbeit und Zugang zu Wissen gefördert werden sollen. Naghipour kritisierte den Mangel an öffentlichen Digitalinfrastrukturen, weshalb eine große Abhängigkeit von globalen kapitalistischen Plattformen entstanden sei. Um die Autonomie von Wissenschaft und Öffentlichkeit zu stärken, sollten am Gemeinwohl orientierte Infrastrukturen geschaffen werden.

Gesche Joost, Professorin für Designforschung an der Universität der Künste und Mitorganisatorin der Weizenbaum-Konferenz, begründete das Tagungsthema auch mit dem Krieg in der Ukraine und der „Zeitenwende“, die Olaf Scholz angekündigt hat. Die Frage nach der digitalen Souveränität stelle sich nun drängender: „Welche Infrastruktur für sensible Daten brauchen wir in Deutschland und in Europa? Welche eigene Hardware müssen wir lokal produzieren? Wie werden wir unabhängiger von fragilen globalen Lieferketten, die auch digitale Innovationen beeinflussen?“

Ein drastisches Bild für den Zustand der digitalen Welt wählte Renata Ávilla-Pinto, guatemaltekische Anwältin und Aktivistin sowie Geschäftsführerin der Open Knowledge Foundation, in ihrer Keynote. Diese sei ein „einsturzgefährdetes Gebäude“. Die Technik habe nicht Aufklärung gebracht, sondern in eine selbstverschuldete Unmündigkeit geführt. Eine notwendige Bedingung für eine gemeinsame digitale Zukunft sei offenes Wissen. „Die Wissenselite muss ihre Privilegien dafür nutzen, der Allgemeinheit Wissen zugänglich zu machen.“

Den zweiten Tag der Weizenbaum-Konferenz eröffnete Adam Greenfield, international bekannter Experte für Urban Computing, mit der Keynote „At The End of the World, Plant A Tree“. Auch er ging von einer dramatischen Gegenwartsanalyse aus, der sich eine optimistische Zukunftsvision anschloss: „Rethink what you value“ war das Motto, unter dem er eine Reihe konkreter Vorschläge machte, die von der Stärkung lokaler Kompetenz, kurzen Lieferketten bis hin zu einem Ethos der Reparatur reichten.

In einer Ausstellung zeigten Digital-Künstler:innen und Tech-Aktivist:innen Werke, mit denen sie einen kritischen Blick auf invasive Technologien werfen. Adam Harvey stellte in seiner Arbeit die Verletzlichkeit des Individuums dar. Er zeigte 700.000 Gesichter von der Online-Plattform Flickr, die zur Entwicklung von Gesichtserkennungs-Software genutzt wurden, ohne dass die Betroffenen ihr Einverständnis gegeben hatten. Das Werk erregte öffentliches Aufsehen, da sie ebenfalls die Persönlichkeitsrechte der Gezeigten verletzte.

Über lateinamerikanische Erfahrungen berichtete Gilberto Vieira in seinem Abschlussvortrag. Er zeigte auf, wie die Souveränität marginalisierter Bevölkerungsgruppen mit digitalen Mitteln gefördert werden kann. Viera leitet datalabe.org, ein Datenlabor in Maré, eine der größten Favelas Brasiliens. Die Daten, die Bürger:innen sammeln, sollen helfen, Ungleichheiten zu reduzieren. 

Bianca Herlo, Leiterin des wissenschaftlichen Komitees der Weizenbaum-Konferenz, sah das Anliegen der Konferenz erfüllt, Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zusammenzubringen, um neue Allianzen zu bilden und Ideen zu bündeln. „Mit dieser Konferenz wollten wir auch neue Forschungsverständnisse etablieren, bei denen akademische und nichtakademische Akteur:innen gemeinsam Veränderungen anstoßen – für eine sozial und ökologisch gerechte digitale Transformation.“

Eine positive Bilanz der Tagung zog Christoph Neuberger, Geschäftsführender Direktor des Weizenbaum-Instituts. „Wir forschen im Geiste von Joseph Weizenbaum. Er forderte, dass die digitale Welt auf der Grundlage moralischer Werte gestaltet wird. Darüber wollen wir auch auf der fünften Konferenz im Jubiläumsjahr 2023 zum hundertsten Geburtstag von Joseph Weizenbaum diskutieren.“

Eine Auswahl an Fotos der Weizenbaum Conference 2022 haben wir hier für Sie zusammengestellt.