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KI, Maschinelles Lernen und Co. – Neue Wege im Krisenmanagement

Um mit Krisen wie den Hochwassern Anfang des Jahres in Teilen Deutschlands umzugehen, ist eine gute Kommunikation zwischen den beteiligten Akteuren und der Bevölkerung entscheidend. Digitale Technologien können dies unterstützen.

Till Büser und Thomas Kox aus der Forschungsgruppe „Digitalisierung und vernetzte Sicherheit“ diskutierten mit Annett Schulze vom Bundesinstitut für Risikobewertung, Janine Hellriegel von Fraunhofer FOKUS und Volker Tondorf von der Bundesanstalt Technisches Hilfswerk im Rahmen des Weizenbaum-Forums über zivile Sicherheitsforschung sozio-technischer Systeme.

Was versteht ihr unter sicherheitskritischen sozio-technischen Systemen und inwiefern forscht ihr dazu?

Kox: In unserer Forschungsgruppe „Digitalisierung und vernetzte Sicherheit“ untersuchen wir u.a. verschiedene Aspekte digitaler Infrastrukturen, die besonders wichtig sind und im Falle eines Ausfalls ernsthafte Konsequenzen haben könnten. Diese Infrastrukturen werden als Kritische Infrastrukturen oder kurz KRITIS bezeichnet. Wir betrachten technologische Lösungen sowie die Menschen, die sie nutzen, Behörden, Sicherheitsorganisationen und die Bevölkerung. Für uns ist vernetzte Sicherheit ein wichtiger Teil der digitalen „Daseinsvorsorge". Dadurch können wir Ereignisse frühzeitig erkennen, die Menschen richtig und vertrauenswürdig informieren und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Besonderes Augenmerk legen wir dabei darauf, wie digitale Technologien im Zusammenhang mit Warnungen genutzt werden.

Büser: Derzeit führen wir mehrere Untersuchungen durch. Dazu gehören systematische Überprüfungen des aktuellen Standes der Forschung zur Digitalisierung im Bereich der Zivilen Sicherheit sowie zur Anwendung von KI-Technologien im Management von Notfällen und Katastrophen. Außerdem konzentrieren wir uns darauf, wie digitale Dashboards zur Lagebewältigung genutzt werden und wie sie als Plattformen für Risiko- und Krisenkommunikation dienen können. Zusätzlich begleiten wir die Erprobung neuer Anwendungen wie Chatbots oder Warn- und Einsatzapps bei zivilen Einsatzübungen, um ihre Wirksamkeit zu bewerten.

Worüber wurde beim Weizenbaum-Forum konkret gesprochen? Konntet ihr neue Erkenntnisse für euch gewinnen?

Kox: Mit dem Aufkommen neuer Datenquellen wie den sozialen Medien hat sich die Situation für Einsatzkräfte stark verändert, wenn es darum geht, die Lage einzuschätzen. Diese neuen Quellen bringen sowohl große Herausforderungen als auch Möglichkeiten mit sich, um neue und zusätzliche Informationen zu erhalten. Volker Tondorf vom Technischen Hilfswerk hat gezeigt, wie sogenannte Virtual Operations Support Teams, kurz VOSTs, dabei helfen können. Sie kombinieren die Fähigkeiten von Menschen und maschineller Verarbeitung, um den Strom an Daten in solchen Situationen nutzbar zu machen.

Büser: Volker Tondorf zeigte, dass VOSTs zwar nicht sicherstellen können, dass alle wichtigen Informationen aus sozialen Medien gewonnen werden können. Aber sie können die Chancen dafür deutlich verbessern. Diese Teams sind in der Lage, eine digitale Lageerkundung durchzuführen, was bedeutet, dass sie Online-Informationen überwachen, sammeln, filtern, bewerten und an den Krisenstab weiterleiten können. Sie können auch digitale Karten erstellen und räumliche Analysen durchführen, um einerseits bei der Bestätigung von Informationen zu helfen und andererseits Falschmeldungen zu erkennen und zu bekämpfen.

Was ist in diesem Zusammenhang „gute“ Krisen-Kommunikation? Oder wird hier von Risikokommunikation gesprochen?

Büser:  Häufig werden beide Begriffe verwendet. Risiko- und Krisenkommunikation haben oft ähnliche Ziele, können zeitlich jedoch klar voneinander abgegrenzt werden. Annett Schulze hat in ihrem Beitrag betont, dass sich Krisenkommunikation auf einen begrenzten Zeitraum konzentriert, zum Beispiel den Beginn und das Ende einer Pandemie. Risikokommunikation hingegen wird langfristig sowohl vor als auch nach Krisen eingesetzt.

Kox: Pandemie ist ein gutes Stichwort. In ihrem Beitrag konzentrierte sich Annett Schulze hauptsächlich auf die Kommunikation während der Corona-Pandemie und wie man mit komplexen Daten umgeht und sie visualisiert, besonders unter Bedingungen großer Unsicherheit. Ein Kommunikationsformat, das dabei verwendet wurde und weiterhin verwendet wird, sind Dashboards, um die Fallzahlen in bestimmten Regionen darzustellen. Dashboards sind eine Möglichkeit, Daten mit einem bestimmten Ziel zu visualisieren. Sie sollen es ermöglichen, schnell zu verstehen, was passiert und wie sich bestimmte Ereignisse entwickeln, um dann entsprechende Maßnahmen abzuleiten.

Welche Technologien sind erforderlich, um Krisensituationen rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren?

Kox: Künstliche Intelligenz, Maschinelles Lernen und Soziale Medien verändern bereits jetzt die Möglichkeiten für Datenanalyse, Governance und Wissensmanagement. Diese Technologien werden jetzt in allen Phasen des Krisenmanagements eingesetzt. Eine bekannte App zur Warnung der Bevölkerung ist KATWARN.

Büser: Janine Hellriegel von Fraunhofer FOKUS erwähnte weitere Beispiele für digitale Plattformen, die verwendet werden, um Einsatzkräfte zu alarmieren und zu koordinieren, insbesondere bei der Bewältigung von Notfällen. Zum Beispiel werden diese Plattformen genutzt, um in Echtzeit Lagebilder von akuten Gefahrenereignissen zu erstellen oder um mittels agent-based modeling mögliche Ereignisse zu simulieren und daraus Schlussfolgerungen für die Vorbereitung auf potenzielle Ereignisse abzuleiten. 

Welche Trends seht ihr innerhalb der Forschung?

Kox: Besonders bei der Früherkennung und der Vorbeugung von Krisen werden zunehmend digitale Lösungen eingesetzt. Sie helfen dabei, durch Simulationen und algorithmische Modelle besser auf mögliche zukünftige Ereignisse vorbereitet zu sein. Dazu gehören auch Trainings für Einsatzkräfte, die durch Virtual Reality (VR) oder Augmented Reality (AR) unterstützt werden.

Büser: Um mit akuten Krisensituationen umzugehen, werden heutzutage komplexe Lagebilder erstellt. Diese integrieren eine Vielzahl von Daten und Informationen in Echtzeit und unterstützen risikobasierte Entscheidungen. Außerdem wird die Kommunikation zwischen Einsatzkräften, verschiedenen Organisationen sowie unabhängigen Helfer:innen und der Bevölkerung durch digitale Plattformen und Anwendungen sowohl während der Krisenbewältigung als auch im Allgemeinen erleichtert.

Welche Herausforderungen gibt es?

Büser: Moderne Gesellschaften und ihre Infrastrukturen sind sehr komplex. Das gilt auch für Ausfall- und Katastrophenereignisse, die nicht einfach auf eine Ursache zurückzuführen sind, sondern oft als eine Reihe von miteinander verbundenen Ereignissen auftreten. Solche systemischen Risiken sind durch Unsicherheit, Mehrdeutigkeit, und das Fehlen von Wissen über Zeit und Raum gekennzeichnet. Dadurch bleibt es eine Herausforderung, Ausfall- und Katastrophenszenarien darzustellen und zu analysieren, sowie Maßnahmen zur Bewältigung dieser Ereignisse abzuleiten.


Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Katharina Stefes